Zu den Urteilsanforderungen, wenn das Tatgericht trotz Bewährungsbruchs und ernstlicher Vordelinquenz auf Geldstrafe erkennt

Gericht: KG Berlin 3. Strafsenat
Entscheidungsdatum: 25.05.2021
Rechtskraft: ja
Aktenzeichen: (3) 121 Ss 53/21 (24/21)
ECLI: ECLI:DE:KG:2021:0525.3.121SS53.21.24.2.00
Dokumenttyp: Urteil

Urteilsanforderungen bei Erkenntnis auf Geldstrafe trotz ernstlicher Vordelinquenz

Leitsatz

Zu den Urteilsanforderungen, wenn das Tatgericht trotz Bewährungsbruchs und ernstlicher Vordelinquenz auf Geldstrafe erkennt.

Verfahrensgang

vorgehend LG Berlin, 2. Februar 2021, (581) 252 Js 7731/18 Ns (39/19)

Tenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 2. Februar 2021 wird verworfen.

Die Landeskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1. Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung und wegen Verschaffens von falschen amtlichen Ausweisen zu einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt, zugleich hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen und Ratenzahlung bewilligt. Das Amtsgericht hatte sich die Gewissheit verschafft, dass der alkoholisierte Angeklagte einen Busfahrer mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen hatte, wodurch der Geschädigte bis zum nächsten Tag Schmerzen hatte. Auch hatte der Angeklagte zur Überzeugung des Amtsgerichts bei der Tat einen gefälschten italienischen Führerschein und eine gefälschte italienische „ID-Card“ bei sich.

2. Gegen das Urteil hat die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt, die sie auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat. Das Rechtsmittel ist erfolglos geblieben, das Landgericht hat die Tagessatzhöhe auf 3 Euro und auch die Höhe der bewilligten Raten herabgesetzt. Es hat u.a. ausgeführt, der – zu dieser Zeit eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßende – Angeklagte sei zwar mehrfach vorbestraft und er habe die Taten während laufender Bewährung begangen, was erheblich gegen ihn spreche. Allerdings müsse u.a. auch gesehen werden, dass er bisher nicht mit Gewaltdelikten aufgefallen sei, sondern mit Diebstählen und Erschleichen von Leistungen; meist sei es zu Ahndungen durch Strafbefehle gekommen „ohne die erforderliche Warnfunktion einer Gerichtsverhandlung“.

3. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft Berlin. Die Revisionsführerin macht geltend, die Einzelgeldstrafen und die Gesamtgeldstrafe sei bei dem hier vielfach zu Geldstrafen und zuletzt zu einer Bewährungsstrafe vorverurteilten Angeklagten rechtsfehlerhaft begründet, zumal die neuerlichen Straftaten während laufender Bewährung begangen worden seien. Es seien nicht alle wesentlichen Umstände in die Strafzumessung eingeflossen.

4. Das Rechtsmittel bleibt erfolglos. Die Strafkammer hat die Rechtsfolgen in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgesetzt.

5. 1. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, von unzutreffenden Tatsachen ausgehen, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten Spielraums liegt (vgl. BGH StraFo 2017, 242). Nur in diesem Rahmen kann eine „Verletzung des Gesetzes“ nach § 337 Abs. 1 StPO vorliegen. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen. In Zweifelsfällen muss das Revisionsgericht die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen (vgl. für viele BGHSt 34, 345). Dabei ist der Tatrichter lediglich verpflichtet, in den Urteilsgründen die für die Strafzumessung bestimmenden Umstände darzulegen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); eine erschöpfende Aufzählung aller Strafzumessungserwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich. Was als wesentlicher Strafzumessungsgrund anzusehen ist, ist unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls vom Tatrichter zu entscheiden (vgl. BGH NStZ-RR 2012, 336 m.w.N.; Senat, Urteil vom 18. März 2021 – 3 Ss 7/21 –).

6. 2. Nach diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die konkrete Bemessung der vom Landgericht festgesetzten Einzelgeldstrafen revisionsrechtlicher Überprüfung ebenso stand wie die Bemessung der Gesamtgeldstrafe. Die beanstandete Strafzumessung ist nicht in sich fehlerhaft. Sie geht nicht von unzutreffenden Tatsachen aus und verstößt auch nicht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke.

7. a) Das Landgericht hat, was auch von der Staatsanwaltschaft nicht substantiell in Frage gestellt wird, alle wesentlichen Strafzumessungsgesichtspunkte erkannt und erörtert. Das Landgericht hat bei der Strafzumessung ausdrücklich gewürdigt, dass der erst 2014 nach Deutschland eingereiste Angeklagte bereits vielfach verurteilt werden musste, nämlich wegen Diebstahls und wegen Erschleichens von Leistungen zu Geldstrafen. Zuletzt, so weist es das Urteil aus, ist der Angeklagte wegen Diebstahls mit Waffen zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt worden, wobei die Strafvollstreckung auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Bei der zugrundeliegenden Tat hatte der Angeklagte ein Klappmesser bei sich geführt, als er im Supermarkt fünf Schachteln Zigaretten an sich nahm. Das Landgericht hat auch gewürdigt, dass sich die nunmehr abgeurteilten Straftaten als Bruch der mit diesem Urteil gewährten Bewährung darstellen. Ausdrücklich erkennt das Urteil an, dass die Körperverletzung „im öffentlichen Nahverkehr erfolgte, was das Sicherheitsgefühl vieler Menschen erheblich beeinträchtigt“ (UA S. 5). Schließlich würdigt die Strafkammer auch, dass die Taten trotz der im vorangegangenen Verfahren vollzogenen Untersuchungshaft begangen worden sind (UA. S. 5). Das Landgericht stellt diesen als strafschärfend erkannten Umständen aber entkräftende und relativierende Gesichtspunkte gegenüber. Bezogen auf die Körperverletzung führt die Strafkammer aus, der Angeklagte sei zuvor noch nie mit Gewaltdelikten aufgefallen und die Schwere der Tat liege „am unteren Rand der denkbaren Fälle“. Die Strafkammer rekurriert darauf, dass die meisten der vom Angeklagten begangenen Straftaten durch Strafbefehl geahndet worden seien, von dem eine grundsätzlich geringere Warnfunktion ausgehe.

8. Damit hat die Strafkammer die tragenden Strafzumessungsgesichtspunkte bezeichnet. Auch die Staatsanwaltschaft führt nicht aus, welche weiteren tatsächlichen Umstände hätten Beachtung finden müssen. Die Staatsanwaltschaft würdigt die bezeichneten Gesichtspunkte nur anders. Dies ist aber revisionsrechtlich ohne Belang, weil die Gewichtung der wesentlichen Strafzumessungsumstände zuvörderst Sache des Tatgerichts ist.

9. b) Als frei von Rechtsfehlern erweist es sich, dass das Landgericht den Umstand eines bestehenden Haftbefehls wegen schweren Raubs nicht erkennbar zum Nachteil des Angeklagten gewürdigt hat. Hätte das Landgericht den Bestand des Haftbefehls wie eine rechtskräftige Verurteilung strafschärfend bewertet, so hätte dies gegebenenfalls gegen die Unschuldsvermutung aus Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 2 EMRK verstoßen (vgl. BVerfGK 17, 223; BGH NStZ 2014, 202). Wenn die Revisionsführerin hier Feststellungen zum Sachverhalt und zur Tatzeit vermisst, ohne diese Umstände dem Revisionsgericht selbst zu unterbreiten, so dürfte es sich in der Sache um eine – unzulässige – Aufklärungsrüge handeln. Dass die Revisionsbegründung zu den tatsächlichen Tatumständen und zur Beweislage der dem Haftbefehl zugrundeliegenden Tat schweigt, deutet nämlich darauf hin, dass diese gar nicht aufgeklärt worden sind und die Staatsanwaltschaft auch keinen dahingehenden Beweisantrag gestellt hat. Jedenfalls hat nicht einmal die Revisionsführerin behauptet, dass der Angeklagte die vorgeworfene Raubtat gestanden hat.

10. Unter diesem Gesichtspunkt besteht auch der durch die Revisionsführerin behauptete „Widerspruch“ mit der Behauptung des Landgerichts, der Angeklagte sei bislang „noch nie mit Gewaltdelikten aufgefallen“, nicht. Zwar handelt es sich bei der dem Haftbefehl zugrundeliegenden Tat, die vom Haftgericht vorläufig als schwerer Raub bewertet wird, höchstwahrscheinlich um eine solches „Gewaltdelikt“. Hierfür fehlt aber, wie dargelegt, ein Schuldnachweis. Einen sachlich-rechtlichen Fehler, etwa im Sinne eines Erörterungsmangels, stellt das Fehlen von Einzelheiten zu Tat und Beweislage hier jedenfalls nicht dar, zumal es eher als Ausnahme erscheint, dass sich die Verdachtsmomente gegen einen Beschuldigten bereits vor Anklageerhebung und Hauptverhandlung so lückenlos verdichtet haben, dass es vor dem Hintergrund der Unschuldsvermutung vertretbar erscheint, die Tat als vom Beschuldigten begangen zugrunde zulegen.

11. c) Gleichfalls stellt es keinen sachlich-rechtlichen Fehler dar, dass die Strafkammer den im Falle einer Freiheitsstrafe mit großer Wahrscheinlichkeit drohenden Bewährungswiderruf in ihre Strafzumessung eingestellt hat. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB sind die „Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind“, zu berücksichtigen. Es entspricht höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass ein drohender Widerruf einen solchen Umstand darstellt, der bei der Strafzumessung „in den Blick zu nehmen“ ist (vgl. zuletzt BGH NStZ-RR 2020, 239). Ebendies hat die Strafkammer hier getan.

12. d) Der Einschätzung der Revisionsführerin, es habe einer Auseinandersetzung mit „§ 47 Abs. 1 letzte Var. StGB (Unerlässlichkeit einer [kurzen?] Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung) bedurft“ (RB S. 2), folgt der Senat im Hinblick auf den Regelungszweck des § 47 Abs. 1 StGB nicht. Die Vorschrift soll der Verhängung kurzer Freiheitsstrafen entgegenwirken, die als spezialpräventiv ungünstig angesehen werden (für viele Fischer, StGB 68. Aufl., § 47 Rn. 2). Sie greift damit ein, wenn das Tatgericht beabsichtigt, eine Freiheitsstrafe zu verhängen, die kürzer als sechs Monate ist. Dies war hier aber gerade nicht der Fall.

13. e) Zwar zitiert die Revisionsschrift unzutreffend den Bundesgerichtshof (VRS 17, 183 und NStZ 1983, 454) sowie den 4. Strafsenat des Kammergerichts mit weiteren drei Entscheidungen als Beleg dafür, dass die Verhängung von Geldstrafen „erhöhte Begründungspflichten“ erfordere, wenn sich die zugrundeliegenden Taten als Bewährungsbruch darstellen. In allen genannten Entscheidungen hatte das Tatgericht trotz Bewährungsbruchs nochmals Strafaussetzung bewilligt; Geldstrafen standen nicht in Rede. Dennoch erkennt der Senat an, dass sich auch in der hier gegebenen Konstellation „Geldstrafe bei Bewährungsbruch“ die Strafzumessung mit der Tatsache des Bewährungsbruchs vertieft befassen muss. Diesen Anforderungen aber genügt das Urteil.

14. 3. Die verhängten Einzelstrafen und die Gesamtstrafe lösen sich hier auch nicht so weit von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten Spielraums liegen. Ohne Zweifel erscheint die verhängte Strafart als mild. Es ist aber das Wesen des Revisionsrechts, dass die verhängte Strafe bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen ist. Diese Grenze ist bei den hier abgeurteilten Taten nicht überschritten. Das Landgericht hat, wie dargelegt, die bestimmenden Strafzumessungsgründe bezeichnet und erörtert und substantiell dargelegt, warum es trotz der signifikanten Delinquenzhistorie eine Freiheitsstrafe für nicht angezeigt hält. Dies hat der Senat hinzunehmen.

15. 4. Auch die niedrige Tagessatzhöhe hat das Landgericht rechtsfehlerfrei begründet. Die Strafkammer hat ihrer Bestimmung zugrunde gelegt, dass der Angeklagte zurzeit eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt und hiernach eine Entlassung aus der anzuschließenden, in anderer Sache zu vollziehenden Untersuchungshaft nicht abzusehen ist. Gegen die Bewilligung der Ratenzahlung und die Einziehungsentscheidung ist nichts zu erinnern.

16. 5. Die Entscheidung über die Kosten und Auslagen ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.

Zuletzt aktualisiert am Juli 21, 2021 von eurogesetze

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