Isolierte Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen Prozessvergleich

Gericht: LArbG Berlin-Brandenburg 26. Kammer
Entscheidungsdatum: 03.06.2021
Aktenzeichen: 26 Ta 1537/20
ECLI: ECLI:DE:LAGBEBB:2021:0603.26TA1537.20.00
Dokumenttyp: Beschluss

Isolierte Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen Prozessvergleich

Leitsatz

1. Nach § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO erfolgt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für jeden Rechtszug besonders. Angesichts der gebotenen kostenrechtlichen Auslegung ist jeder Verfahrensabschnitt, der besondere Kosten verursacht, grundsätzlich als besonderer Rechtszug zu behandeln (vgl. BGH 17. Januar 2018 – XII ZB 248/16, Rn. 19).(Rn.6)

2. Mehrere gebührenrechtlich selbständige Verfahrensabschnitte können zu einem einheitlichen Rechtszug iSv § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO gehören, wenn diese Verfahrensabschnitte bei der Gewährung von Prozesskostenhilfe nach deren Sinn und Zweck nicht voneinander getrennt werden können.(Rn.6)

3. Ob eine isolierte Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen Vergleich zulässig ist, ist streitig (ablehnend: OLG Brandenburg 25. September 2006 – 9 WF 289/06, Rn. 6; Schultzky in: Zöller, 33. Aufl. 2020, § 114 ZPO, Rn. 38; bejahend: OLG Zweibrücken 26. März 1985 – 6 WF 37/85, JurBüro 1985, 1418, mit ablehnender Anmerkung Mümmler; Musielak/Voit/Fischer, 18. Aufl. 2021, ZPO § 119 Rn. 5).(Rn.6)

4. Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 RVG in der seit dem 1. Januar 2021 maßgeblichen Fassung umfasst der Anspruch alle gesetzlichen Gebühren und Auslagen, wenn sich die Beiordnung auf den Abschluss eines Vertrags im Sinne der Nummer 1000 des Vergütungsverzeichnisses erstreckt oder die Beiordnung oder die Bewilligung der Prozesskostenhilfe sich hierauf beschränkt. Das setzt die Möglichkeit dazu voraus.(Rn.7)

5. Die Beantwortung der Frage kann auch Bedeutung im Rahmen eines Mediationsverfahrens zukommen, wenn es darum geht, den Parteien isoliert für eine in diesem oder aufgrund des Mediationsverfahrens im Hauptsacheverfahren getroffene Vereinbarung Prozesskostenhilfe zu bewilligen.(Rn.7)

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Berlin, 26. November 2020, 39 Ca 13726/20, Beschluss

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 26. November 2020 – 39 Ca 13726/20 – abgeändert und der Antragstellerin Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug einschließlich des Vergleichs ohne Raten mit Wirkung vom 18. November 2020 bewilligt und Rechtsanwalt A beigeordnet.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1. Die Antragstellerin wendet sich mit der Beschwerde gegen die teilweise Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ihre Klage gegen eine zu keinem Zeitpunkt ausgesprochene Kündigung, mit der sie zugleich die Feststellung des Fortbestandes ihres Arbeitsverhältnisses geltend gemacht hatte. Das Arbeitsgericht hat Prozesskostenhilfe nur für den durch die Parteien abgeschlossenen Vergleich bewilligt.

2. Dem Rechtsstreit, für den die nahezu blinde Klägerin Prozesskostenhilfe beantragt, gingen andere gerichtliche Auseinandersetzungen voraus. Die Beklagte hatte sodann für eine außerordentliche Kündigung die Zustimmung des Integrationsamts erwirkt. Die Klägerin ist hierüber informiert worden. Außerdem hatte die Beklagte bereits in eine Arbeitsbescheinigung und in die Lohnsteuerbescheinigung den 30. September 2020 als Beendigungszeitpunkt für das Arbeitsverhältnis eingetragen und auch die Krankenkasse entsprechend informiert. Die Beklagte hat die Kündigung dann aber vor dem Hintergrund der nicht eingehaltenen Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht ausgesprochen. Die Klägerin hat Klage erhoben mit dem Antrag, dass festgestellt werden solle, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch eine außerordentliche noch durch eine ordentliche Kündigung gemäß Schreiben des Landesamtes für Gesundheit und Soziales Berlin vom 29. September 2020 noch durch eine Eintragung in einer Arbeitsbescheinigung nach § 312 SGB III noch durch die Übergabe der Lohnsteuerbescheinigung für 2020 aufgelöst worden ist, sondern über den angeblichen Beendigungszeitpunkt 30. September 2020 hinaus bis zum Ablauf der Befristung am 14. September 2021 fortbestehe. In einem Vergleich stellten die Parteien am 18. November 2020 fest, dass ihr Arbeitsverhältnis ungekündigt fortbestehe und die Klägerin berechtigt sei, dieses mit einer Kündigungsfrist von einer Woche zu beenden.

3. Mit Beschluss vom 26. November 2020 hat das Arbeitsgericht der Klägerin Prozesskostenhilfe „für den Vergleich“ bewilligt und den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Übrigen mangels Erfolgsaussichten zurückgewiesen. Die Klägerin hat gegen den Beschluss fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt. Der Umstand, dass eine Kündigung nicht ausgesprochen worden sei, stehe der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht entgegen. Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

4. Die Beschwerde ist begründet.

5. 1) Das Arbeitsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf den Vergleichsabschluss beschränkt. Es ist streitig, ob die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf einen Vergleich begrenzt zugesprochen werden kann.

6. a) Nach § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO erfolgt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für jeden Rechtszug besonders. Angesichts der gebotenen kostenrechtlichen Auslegung ist jeder Verfahrensabschnitt, der besondere Kosten verursacht, grundsätzlich als besonderer Rechtszug zu behandeln (vgl. BGH 17. Januar 2018 – XII ZB 248/16, Rn. 19). So ist zB für den Schuldner über die Stundung der Verfahrenskosten im Rahmen des Insolvenzverfahrens für jeden Verfahrensabschnitt besonders zu entscheiden, § 4a Abs. 3 Satz 2 InsO. Dementsprechend ist auch jeweils zu entscheiden, ob dem Schuldner gemäß § 4a Abs. 2 Satz 1 InsO ein Rechtsanwalt beizuordnen ist (vgl. BGH 8. Juli 2004 – IX ZB 565/02, Rn. 14). Jedoch dürfen dadurch Sinn und Zweck der Prozesskostenhilfe nicht unterlaufen werden, sodass mehrere in notwendigem inneren Zusammenhang stehende Verfahrensabschnitte auch dann einen einheitlichen Rechtszug iSv § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO bilden, wenn sie jeweils mit besonderen Kosten verbunden sind. Mehrere gebührenrechtlich selbständige Verfahrensabschnitte sollen aber zu einem einheitlichen Rechtszug iSv § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO gehören, wenn für die Gewährung von Prozesskostenhilfe dasselbe Prozessgericht iSv §§ 117, 127 zuständig ist und wenn diese Verfahrensabschnitte bei der Gewährung von Prozesskostenhilfe nach deren Sinn und Zweck nicht voneinander getrennt werden können. So bilden die Klagerhebung, die mündliche Verhandlung und der Abschluss eines Prozessvergleichs nicht nur verfahrensrechtlich, sondern auch kostenrechtlich einen Rechtszug, obwohl jeweils neue Gebühren anfallen. Da Prozesskostenhilfe für den Rechtszug zu bewilligen ist, soll es nicht zulässig sein, zunächst einzelne Verfahrensabschnitte von der Bewilligung auszunehmen und diese insoweit einer erneuten Prüfung vorzubehalten (MüKoZPO/Wache, 6. Aufl. 2020, ZPO § 119 Rn.2). Ob vor diesem Hintergrund eine isolierte Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen Vergleich zulässig ist, ist streitig (ablehnend: OLG Brandenburg 25. September 2006 – 9 WF 289/06, Rn. 6; Schultzky in: Zöller, 33. Aufl. 2020, § 114 ZPO, Rn. 38; bejahend: OLG Zweibrücken 26. März 1985 – 6 WF 37/85, JurBüro 1985, 1418, mit ablehnender Anmerkung Mümmler; Musielak/Voit/Fischer, 18. Aufl. 2021, ZPO § 119 Rn. 5).

7. b) Der Gesetzgeber scheint von der Möglichkeit auszugehen, auch isoliert für einen Vergleich Prozesskostenhilfe zu bewilligen. So ist durch das Kostenrechtsänderungsgesetz vom 21. Dezember 2020 (KostRÄG 2021 – BGBl. I, 3229) mit Wirkung vom 1. Januar 2021 § 48 Abs. 1 RVG neu gefasst worden. Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 RVG in der seit dem 1. Januar 2021 maßgeblichen Fassung umfasst der Anspruch alle gesetzlichen Gebühren und Auslagen, wenn sich die Beiordnung auf den Abschluss eines Vertrags im Sinne der Nummer 1000 des Vergütungsverzeichnisses erstreckt oder die Beiordnung oder die Bewilligung der Prozesskostenhilfe sich hierauf beschränkt. Das setzt die Möglichkeit dazu voraus. Hintergrund der Änderung des Gesetzes war zunächst der Umstand, dass der Umfang der Gebühren bei der PKH-Bewilligung für einen Mehrvergleich streitig war. In der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 19/23484, S. 32) heißt es dazu: „Dies soll auch dann gelten, wenn sich die Beiordnung oder die Bewilligung der Prozesskostenhilfe auf den Abschluss eines Vergleichs beschränkt. Durch die Regelung ist gewährleistet, dass dies auch gilt, wenn die Bewilligung oder Beiordnung in einem PKH-Bewilligungsverfahren erfolgt.“ Der Gesetzgeber hat danach offenbar ursprünglich eine andere als die hier vorliegende Konstellation bei der Formulierung im Auge gehabt. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, beschränkt auf einen Vergleichsabschluss, ist danach aber jetzt wohl nicht mehr ausgeschlossen. Bedeutung kann dem besonders im Rahmen eines Mediationsverfahrens zukommen, wenn es darum geht, den Parteien für eine in diesem oder aufgrund des Verfahrens im Hauptsacheverfahren (uU nach § 278 Abs. 6 ZPO) getroffene Vereinbarung Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

8. 2) Im Ergebnis kann die Beantwortung der Frage, ob hier auch ausschließlich für einen Vergleich Prozesskostenhilfe zulässigerweise hätte bewilligt werden können, dahinstehen. Denn der Klägerin kann für den gesamten Rechtszug Prozesskostenhilfe bewilligt werden, da die Voraussetzungen bei verständiger Auslegung ihres Begehrens erfüllt waren.

9. a) Prozesskostenhilfe setzt hinreichende Erfolgsaussichten und fehlende Mutwilligkeit voraus.

10. aa) Nach § 11a Abs. 1 ArbGG iVm. § 114 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Während die hinreichende Aussicht auf Erfolg die materielle Begründetheit des Anspruchs betrifft, wird von der Frage der Mutwilligkeit in erster Linie die verfahrensmäßige Geltendmachung des Anspruchs erfasst (vgl. BAG 8. September 2011 – 3 AZB 46/10, Rn. 15). Erfolgsaussicht ist gegeben, wenn der von dem Antragsteller eingenommene Standpunkt zumindest vertretbar erscheint und eine Beweisführung möglich ist. Es kommt auf die rechtliche und tatsächliche Würdigung des zur Entscheidung berufenen Gerichts an. Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung absehen würde, § 114 Satz 2 ZPO.

11. bb) Dabei dürfen wegen des verfassungsrechtlichen Gebots der Rechtsschutzgleichheit – das Gebot der weitgehenden Angleichung der Situation Bemittelter und Unbemittelter bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfG 14. Dezember 2006 – 1 BvR 2236/06) – die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern nur zugänglich machen. Dem genügt das Gesetz, indem § 114 ZPO die Gewährung von Prozesskostenhilfe bereits dann vorsieht, wenn nur hinreichende Erfolgsaussicht besteht, ohne dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss (vgl. BVerfG 24. Juli 2002 – 2 BvR 2256/99, zu B I 1 der Gründe).

12. b) Bei Zugrundelegung dieser Voraussetzungen steht der Klägerin Prozesskostenhilfe für die erste Instanz zu. Zwar gab es für die Einreichung einer Kündigungsschutzklage mangels Ausspruchs einer Kündigung keinen Anlass und keine Erfolgsaussicht. Die Beklagte hatte durch die Abmeldung bei der Krankenkasse und durch die wahrheitswidrige Ausstellung der Arbeitsbescheinigung aber den Rechtsschein geschaffen, dass sie von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausging. Hiergegen konnte die Klägerin sich mit dem allgemeinen Feststellungsantrag, gerichtet auf die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis über den in den Unterlagen fälschlich angegebenen Beendigungszeitpunkt fortbestehe, zur Wehr setzen. Entsprechend konnte der Antrag – wenn auch nur mit viel gutem Willen – bei Zugrundelegung der Klagebegründung ausgelegt werden.

III.

13. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Eine Gebühr ist nicht angefallen.

IV.

14. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.

Zuletzt aktualisiert am Juli 21, 2021 von eurogesetze

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