Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg 11. Senat
Entscheidungsdatum: 07.06.2021
Aktenzeichen: OVG 11 S 65/21
ECLI: ECLI:DE:OVGBEBB:2021:0607.OVG11S65.21.00
Dokumenttyp: Beschluss
Änderung von Amts wegen; Antragsbefugnis; Einziehungsverfügung; Grün- und Erholungsanlage; Schutzzweck; Drittschutz; Anlieger; Veränderung Grundstückssituation; unerheblicher Eingriff; effektiver Rechtsschutz
Verfahrensgang
vorgehend VG Berlin, 23. April 2021, 24 L 7/21, Beschluss
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 23. April 2021 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt die Antragstellerin.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1. Die Antragstellerin wendet sich gegen eine grünanlagenrechtliche Einziehungsverfügung.
2. Mit Beschluss vom 15. Dezember 2020 (VG 24 L 285/20) hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin (VG 24 K 17/20) gegen diese Einziehungsverfügung wiederhergestellt. Mit Beschluss vom 23. April 2021 (VG 24 L 7/21) hat das Verwaltungsgericht den vorgenannten Beschluss geändert und den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zurückgewiesen. Die dagegen fristgemäß eingelegte und begründete Beschwerde hat auf der Grundlage des nach § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) allein maßgeblichen Beschwerdevortrages in der Sache keinen Erfolg.
3. Das Verwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Beschluss festgestellt, gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO könne das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit von Amts wegen ändern oder aufheben, wenn es bei gleichbleibender Sach- und Rechtslage zu einer anderen Beurteilung des Falles gelange. Nach nochmaliger Würdigung der Sach- und Rechtslage gelange die Kammer zur Überzeugung, dass der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes – anders als in dem abgeänderten Beschluss (VG 24 L 285/20) angenommen – unzulässig sei. Es fehle an der nach § 42 Abs. 2 VwGO erforderlichen Antragsbefugnis, da bezogen auf die streitgegenständliche Einziehung einer Grün- und Erholungsanlage keine relevanten Rechte der Antragstellerin ersichtlich seien. Die sogenannte Adressatentheorie helfe der Antragstellerin nicht weiter, da sich die Einziehung der Grünanlage auf die Nutzung einer Sache durch einen unbestimmten Personenkreis beziehe und daher ein adressatenloser Verwaltungsakt sei. Auch mit der Schutznormtheorie könne die Antragstellerin kein subjektives Recht begründen. Denn ein Individualrechtsschutz gegen die Teileinziehung lasse sich weder aus der Einziehungsnorm des § 2 Abs. 4 Grünanlagengesetz (GrünanlG) noch aus dem Schutzzweck des Grünanlagenbegriffs (§ 1 Abs. 1 Satz 2 GrünanlG) ableiten. Anhaltspunkte für einen Drittschutz von Nachbarn und Anliegern ergäben sich aus diesen Normen nicht; vielmehr richte sich das Regelungskonzept objektiv an die Verwaltung und verpflichte sie zum gesetzmäßigen Handeln. Der Antragstellerin stehe daher auch kein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Berücksichtigung ihrer privaten Belange bei der Entscheidung über die Einziehung zu. Eine Antragsbefugnis der Antragstellerin ergebe sich auch nicht unmittelbar aus Art. 14 Grundgesetz (GG). Zwar gehe mit dem Verlust der Grünanlage ein nachteiliger Effekt auf die Erholungsqualität der Grundstücke der Antragstellerin einher. Jedoch sei diese Auswirkung zu gering, um eine Antragsbefugnis direkt auf Art. 14 GG stützen zu können. Abgesehen davon, dass bereits kein grundrechtsrelevanter Eingriff vorliege, habe der Antragsgegner dargelegt, dass sich im Umkreis von 500 Metern um die Grundstücke der Antragstellerin weitere Grün- und Erholungsanlagen mit einer Gesamtfläche von etwa neun Hektar befinden. Die Antragstellerin sei unter dem Aspekt effektiven Rechtsschutzes auch nicht mit Blick auf die weitere Nutzung der eingezogenen Fläche antragsbefugt, da es ihr unabhängig von der Teileinziehung möglich sei, sich gegen den geplanten Bau einer Turnhalle zu wenden und dabei eine bauplanungsrechtliche Rücksichtnahme einzufordern.
4. Die hiergegen vorgebrachten Einwände der Antragstellerin greifen nicht durch:
5. Die Rüge, das Verwaltungsgericht habe dem Abänderungsantrag des Antragsgegners nicht stattgeben dürfen, da dieser Antrag mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig gewesen sei bzw. ein Antragsrecht des Antragsgegners nach § 80 Abs. 7 VwGO nicht bestanden habe, verkennt bereits, dass das Verwaltungsgericht die Änderung nicht auf Antrag des Antragsgegners, sondern von Amts wegen, mithin unabhängig von diesem Antrag, vorgenommen hat. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, es sei zu einer Änderung nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO von Amts wegen befugt, wenn es bei gleichbleibender Sach- und Rechtslage zu einer anderen Beurteilung des Falles gelange, was hier geschehen sei, lässt das Zulassungsvorbringen unbeanstandet. Der Vortrag der Antragstellerin, der Antragsgegner habe das Fehlen der Antragsbefugnis nicht gerügt, geht ausgehend hiervon ins Leere. Auch der Vortrag der Antragstellerin, das Verwaltungsgericht habe ihr die Antragsbefugnis abgesprochen, obgleich das Klageverfahren bei Erlass des angegriffenen Beschlusses bereits über ein Jahr und das Eilverfahren bereits sechs Monate anhängig gewesen sei, es ihre Antragsbefugnis zuvor in mehreren Beschlüssen angenommen und sich zwischenzeitlich nichts Neues für ihre Rechtsstellung ergeben habe, greift die erstinstanzliche Entscheidung nicht substantiiert an. Denn mit der Annahme des Verwaltungsgerichts, es sei zu einer Änderung nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO stets befugt, wenn es bei gleichbleibender Sach- und Rechtslage zu einer anderen Beurteilung des Falles gelange, setzt sich dieses Vorbringen nicht ansatzweise auseinander.
6. Das Vorbringen, entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts diene der „Erholungszweck der Grün- und Erholungsanlagen“ nicht nur der Allgemeinheit, sondern auch dem Wohl und der Gesundheit der jeweiligen Nutzer und präge die Situation anliegender Grundstücke, weshalb er zumindest auch den Individualinteressen dieser Kreise diene, geht an der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorbei. Den Erholungszweck von Grün- und Erholungsanlagen für den einzelnen Nutzer und eine hierdurch bedingte Prägung anliegender Grundstücke stellt das Verwaltungsgericht nicht in Abrede. Es räumt vielmehr ausdrücklich ein, dass die eingezogene Grünanlage bezogen auf das angrenzende Grundstück der Antragstellerin als „positiver Umgebungsfaktor“ zu Buche schlägt. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr verneint, dass – was etwas anderes ist, weil es um den Zweck des Gesetzes und nicht um den der Grünanlage geht – die Einziehungsnorm des § 2 Abs. 4 GrünanlG bzw. der Schutzzweck des Grünanlagenbegriffs in § 1 Abs. 1 Satz 2 GrünanlG dem Drittschutz von Nachbarn bzw. Anliegern diene; hierzu verhält sich das Beschwerdevorbringen nicht. Soweit die Antragstellerin meint, dem Anlieger, dessen Grundstück von der Grünanlage wesentlich geprägt werde, stehe ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Berücksichtigung seiner privaten Belange bei der Entscheidung über die Einziehung zu und dies mit einem Vergleich der Rechtslage im Straßenrecht einerseits und im Grünanlagenrecht andererseits begründet, stellt ihr Vorbringen eine bloße – überwiegend wörtliche – Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vortrages im Schriftsatz vom 8. April 2021 dar, was, da es insofern an der erforderlichen Auseinandersetzung mit der erstinstanzlichen Entscheidung fehlt, bereits den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht genügt.
7. Die Rüge, das Verwaltungsgericht habe ihr einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung mit der Begründung abgesprochen, dass das Regelungskonzept
8. des Grünanlagengesetzes die Verwaltung zum gesetzmäßigen Handeln verpflichte, was aber, da die die Rechtsaufsicht führende Senatsverwaltung für den geplanten Bau der Turnhalle und daher befangen sei, faktisch nicht erfolgen werde, gibt die angegriffene Entscheidung unzutreffend wieder. Das Verwaltungsgericht hat seine Annahme, ein Anspruch auf (ermessensfehlerfreie) Berücksichtigung der privaten Belange der Antragstellerin bestehe nicht, vielmehr damit begründet, dass es hierzu bereits an einem subjektiven öffentlichen Recht als dogmatischer Anknüpfungspunkt für einen solchen Anspruch fehle. Unabhängig davon legt die bloße Behauptung, die Argumentation des Verwaltungsgerichts führe dazu, dass die Einziehung von niemandem überprüft werden könne, was im Ergebnis untragbar sei, keine Antragsbefugnis gerade der Antragstellerin dar, die allein verneint worden ist.
9. Die Antragstellerin wendet weiter ein, entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts werde der ersatzlose Fortfall der Grünanlage nicht durch andere Grün- und Erholungsanlagen im Umkreis von 500 Metern kompensiert. Das Verwaltungsgericht habe die entsprechende Behauptung des Antragsgegners einfach übernommen, obgleich sie diese Tatsache substantiiert bestritten habe. Sie habe bereits mit ihrer Klage dargelegt, dass nach der einschlägigen Verwaltungsvorschrift des Antragsgegners eine Versorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Grünanlagen ab 6 qm wohnungsnaher Freifläche pro Einwohner gerade noch ausreichend sei, nach der angegriffenen Einziehung aber nur noch rund 2,4 qm Grünfläche pro Anwohner zur Verfügung stünden. Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg. Denn das Verwaltungsgericht hat seine Annahme, dass die Antragstellerin in ihren Individualinteressen nicht erheblich genug beeinträchtigt sei, um eine Antragsbefugnis unmittelbar aus Art. 14 GG abzuleiten, nicht allein auf eine Kompensation der eingezogenen Fläche durch andere Flächen gestützt, sondern insofern selbständig tragend („Abgesehen davon“) angenommen, dass der Verlust der Wohnqualität durch die Teileinziehung der Grünanlage auf die Grundstücke der Antragstellerin nur einen mittelbaren Einfluss habe und dieser daher allenfalls einen unerheblichen und deshalb hinzunehmenden Eingriff in das Grundeigentum der Antragstellerin darstelle, weshalb bereits kein grundrechtsrelevanter Eingriff vorliege, der eine Antragsbefugnis aus dem Eigentumsgrundrecht stützen könne.
10. Diese selbständig tragende Feststellung greift das Zulassungsvorbringen nicht mit Erfolg an. Den dieser Annahme vorausgehenden rechtlichen Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts, dass normexterne Grundrechtswirkungen nur in Ausnahmefällen und für den verfassungsfesten Garantiebereich in Betracht kommen, lässt es gänzlich unbeanstandet. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Antragstellerin sei durch die Teileinziehung nicht in ihrem Anliegerrecht auf Zugang zum öffentlichen Straßennetz verletzt, da ihre Grundstücke in ihrer Erschließung unabhängig von der eingezogenen Grünanlagenfläche ohne Einschränkungen weiterhin nutzbar seien, stellt das Zulassungsvorbringen ebenfalls nicht in Frage. Die Aussage des Verwaltungsgerichts, der Verlust an Wohnqualität durch die Teileinziehung der Grünfläche habe nur einen mittelbaren Einfluss auf die Grundstücke und stelle – wenn überhaupt – einen unerheblichen und deshalb hinzunehmenden Eingriff in das Grundeigentum der Antragstellerin dar, ficht das Zulassungsvorbringen zwar an; die diesbezüglichen Einwände greifen indes nicht durch.
11. Das Verwaltungsgericht hat die Annahme, es handele sich – wenn überhaupt – um einen unerheblichen und deshalb hinzunehmenden Grundrechtseingriff, damit begründet, dass die an die Grundstücke der Antragstellerin unmittelbar angrenzende Grünanlage lediglich als positiver Umgebungsfaktor ins Gewicht falle, von dem die Antragstellerin nur zufällig profitiere, auf den sie als Grundstückseigentümerin jedoch keinen Anspruch habe. Die Antragstellerin wendet hiergegen allein ein, die Einziehung der Grün- und Erholungsanlage wirke sich massiv und erheblich auf ihre Belange aus; mit ihr gehe eine wesentliche Veränderung ihrer Grundstückssituation einher. Die in Rede stehende Grün- und Erholungsanlage sei Voraussetzung für den Bestand gesunder Wohnverhältnisse in ihrer Wohnanlage. Bisher werde der Ausblick aus den Wohnungen durch die von Bebauung freie Grünfläche geprägt, auf der sich die Bewohner aufhalten und ihre Kinder spielen könnten. Für die Genossen der Antragstellerin sei das Wohnen in der extrem verdichteten Umgebung mit den hunderten Wohneinheiten auf engstem Raum nur erträglich, weil die räumliche Enge durch die nunmehr eingezogene Grün- und Erholungsanlage ausgeglichen werde. Durch die Einziehung und anderweitige Nutzung der Grün- und Erholungsfläche fielen sowohl der Ausblick als auch die Aufenthalts- und Bewegungsmöglichkeiten ersatzlos weg. Dieses Vorbringen geht an der erstinstanzlichen Entscheidung vorbei. Denn zu der allein tragenden Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Antragstellerin von der – einen Umgebungsfaktor darstellenden –
12. Grünfläche nur zufällig profitiere und hierauf als Grundstückseigentümerin keinen Anspruch habe, verhält sich dieses nicht. Soweit die Antragstellerin mit ihrem Vorbringen auf Rechte ihrer „Genossen“ abzielen will, übersieht sie, dass diese schon vom Ansatz her eine Antragsbefugnis der Antragstellerin nicht begründen können.
13. Der Einwand, entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts werde ihre unzumutbare Beeinträchtigung nicht dadurch kompensiert, dass sie bauplanungsrechtliche Rücksichtnahme einfordern könne, denn die 13. Kammer des Verwaltungsgerichts habe in ihrem Beschluss vom 11. Januar 2021 (VG 13 L 245/20) festgestellt, dass ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot nicht vorliege, weil der Turnhallenbau die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen einhalte und Lärm und Verkehr zumutbar seien, verkennt, dass auch das Verwaltungsgericht dies nicht angenommen, sondern allein ausgeführt hat, dass die Antragstellerin auch mit Blick auf die weitere Nutzung des Grundstückes und Art. 19 Abs. 4 GG nicht antragsbefugt sei, weil die damit einhergehenden mittelbaren Beeinträchtigungen anderweitig angreifbar seien. Diese Annahme stellt das Vorbringen der Antragstellerin nicht in Frage. Vielmehr bestätigt ihr Verweis auf das Verfahren vor der 13. Kammer (VG 13 L 245/20) die erstinstanzliche Annahme, dass es der Antragstellerin möglich ist, sich gegen den geplanten Bau der Turnhalle zu wenden und diesbezüglich bauplanungsrechtliche Rücksichtnahme „einzufordern“, womit das Verwaltungsgericht lediglich auf eine Rechtschutzmöglichkeit und nicht auf ein Obsiegen in dem entsprechenden Verfahren verwiesen hat.
14. Der pauschale Vortrag, das Verwaltungsgericht habe die aufschiebende Wirkung auch wegen wesentlicher Verfahrensmängel im Widerspruchsverfahren bzw. Verletzung eigenständiger Verfahrensrechte anordnen müssen, die sie im Klageverfahren hilfsweise geltend gemacht habe, legt bereits nicht dar, inwiefern sich hieraus eine Antragsbefugnis der Antragstellerin i.S.d. § 42 Abs. 2 VwGO ergeben soll. Der Verweis auf Vorbringen im Klageverfahren genügt den Darlegungsanforderungen des § 146 VwGO schon deshalb nicht, weil es insofern an der gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO erforderlichen Auseinandersetzung mit der erstinstanzlichen Entscheidung fehlt.
15. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
16. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Zuletzt aktualisiert am Juli 20, 2021 von eurogesetze
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