Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg 2. Senat
Entscheidungsdatum: 10.06.2021
Aktenzeichen: OVG 2 A 15.19
ECLI: ECLI:DE:OVGBEBB:2021:0610.OVG2A15.19.00
Dokumenttyp: Urteil
Veränderungssperre; Normenkontrolle; Antragsbefugnis; außer Kraft treten; Feststellungsinteresse; Schadensersatzklage; Aufstellungsbeschluss; Zuständigkeit; Bezirksamt; Bezirksverordnetenversammlung; Ersetzungsbefugnis; Planung; Sicherung; Konkretheit; Planungsziel; Kindertagesstätte; Gemeinwohlbelang; Eigentumsgrundrecht; Erforderlichkeit; Angemessenheit; Negativplanung
Tenor
Es wird festgestellt, dass die Verordnung über die Veränderungssperre 4-68/30 im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, Ortsteil Wilmersdorf, vom 27. März 2018, bekannt gemacht im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin 2018, S. 196, und die Verordnung über die Verlängerung der Veränderungssperre 4-68/30 im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, Ortsteil Wilmersdorf, vom 26. Juni 2018, bekannt gemacht im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin 2018, S. 480, unwirksam waren.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1. Die Antragstellerin wendet sich gegen eine Veränderungssperre und deren Verlängerung.
2. Sie ist Eigentümerin des ca. 5.860 m² großen Grundstücks C… in Berlin-Charlottenburg, Ortsteil Wilmersdorf (Grundbuch von Wilmersdorf, Blatt 2…, Flur 2…, Flurstücke 2… und 8…). Das Grundstück liegt im Blockinnenbereich des sog. M… (auch W… genannt), bei dem es sich um ein städtebauliches Ensemble handelt. Es umfasst die S… am L… sowie eine aus mehreren Wohngebäuden bestehende Blockrandbebauung. Ein Teil der Gebäude wurde Anfang der 1930er-Jahre nach Plänen des Architekten E… errichtet. Diese Gebäude sind als Gesamtanlage in der Berliner Denkmalliste erfasst. Auf dem Grundstück der Antragstellerin befinden sich mehrere ehemalige Tennisplätze, die im Jahr 2007 stillgelegt wurden und seitdem brachliegen.
3. Die Antragstellerin plant, im Bereich der ehemaligen Tennisplätze zwei größere Wohngebäude und ein kleineres Wohngebäude im südlichen Bereich des Grundstücks zu errichten. Insgesamt sollen so auf dem Grundstück der Antragstellerin 40 Wohnungen mit einer Gesamtwohnfläche von 7.167 m² entstehen.
4. Im März 2014 informierte die Antragstellerin den Antragsgegner über ihre Pläne zur Bebauung des Grundstücks. Im Jahr 2015 fand in Abstimmung mit der Unteren Denkmalbehörde des Bezirks und dem Landesdenkmalamt ein Gutachterverfahren in Bezug auf die Bebauung des Grundstücks statt. Der in diesem Verfahren ausgewählte Entwurf ist Grundlage des Vorhabens der Antragstellerin.
5. Am 21. März 2016 beantragte die Antragstellerin, ihr die für ihr Vorhaben erforderlichen bauplanungsrechtlichen Ausnahmen von den Festsetzungen des Baunutzungsplans sowie eine denkmalrechtliche Genehmigung zu erteilen.
6. Am 29. Juni 2016 gab der Fachbereich Stadtplanung des Bezirksamts eine positive Stellungnahme zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Wohnbauvorhabens der Antragstellerin ab und stimmte der Erteilung der beantragten bauplanungsrechtlichen Ausnahmen zu. Gleichwohl gewährte der Antragsgegner die begehrten Ausnahmen und die denkmalrechtliche Genehmigung in der Folgezeit nicht.
7. Vielmehr ersuchte die Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin (im Folgenden: BVV) das Bezirksamt mit Beschluss vom 15. September 2016, für das Grundstück ein Bebauungsplanverfahren einzuleiten. In diesem Zusammenhang wurde die zuständige Stelle um Angabe der „aktuellen Bedarfszahlen für die Kindertagesbetreuung“ gebeten. Mit Schreiben vom 8. Oktober 2016 teilte die Abteilung Jugend, Familie, Schule, Sport und Umwelt mit, dass sich in der maßgeblichen Bezirksregion H… bis zum Sommer 2020 ein Platzdefizit von „-177 Plätze(n)“ ergeben werde. Weiter hieß es dort: „Für einen solitären Kitabau werden ca. 3.000 bis 3.200 qm vom Grundstück benötigt.“
8. Nachdem das Bezirksamt rechtliche Bedenken gegen die von der BVV in Aussicht genommene Planung vorgebracht hatte, beschloss die BVV am 13. Juli 2017 „in Ersetzung des BA Beschlusses vom 18.04.2017“, einen Bebauungsplan für das fragliche Grundstück aufzustellen. Zur Begründung für den Aufstellungsbeschluss führte der Antragsgegner aus, das wesentliche Ziel der Planung sei „die Festsetzung einer Gemeinbedarfsfläche zur Nutzung als Kindertagesstätten-Standort sowie die Sicherung einer öffentlich nutzbaren Durchwegung auf dem Plangebiet“. Weiter hieß es in der Beschlussbegründung: „In die Prüfung sollen dann auch weitere Gemeinbedarfsbedürfnisse eingehen, die sich aus dem aktuellen Entwurf des Infrastrukturkonzepts für den Bezirk ergeben, das voraussichtlich bis September 2020 vom Bezirksamt beschlossen wird.“ Das Bezirksamt wurde aufgefordert, unmittelbar nach Bekanntgabe des Aufstellungsbeschlusses eine Veränderungssperre für das Plangebiet zu beschließen und der BVV zur Beschlussfassung vorzulegen.
9. In Bezug auf die von ihr begehrten Ausnahmen und die erstrebte denkmalrechtliche Erlaubnis erhob die Antragstellerin am 8. November 2017 Untätigkeitsklage beim Verwaltungsgericht Berlin. Diese ist dort unter dem Geschäftszeichen VG 19 K 664.17 anhängig.
10. In der Folgezeit wurde der Aufstellungsbeschluss der BVV im Amtsblatt für Berlin bekannt gemacht. Anschließend, am 9. Januar 2018, beschloss das Bezirksamt die Vorlage einer Veränderungssperre für das Grundstück C…. Diese Veränderungssperre beschloss die BVV am 22. Februar 2018 als Rechtsverordnung („Veränderungssperre 4-68/30“). Sie wurde auf Grundlage eines Beschlusses des Bezirksamts vom 27. März 2018 im Gesetz- und Verordnungsblatt vom 7. April 2018 verkündet. Mit Rechtsverordnung vom 26. Juni 2018, bekannt gegeben im Gesetz- und Verordnungsblatt vom 17. Juli 2018, verlängerte das Bezirksamt anschließend die Veränderungssperre um ein Jahr. § 4 bzw. § 2 der genannten Verordnungen lautete: „Wer die Rechtswirksamkeit dieser Verordnung überprüfen lassen will, muss eine Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften des Gesetzes zur Ausführung des Baugesetzbuches innerhalb eines Jahres seit der Verkündung dieser Verordnung … geltend machen. Der Sachverhalt, der die Verletzung begründen soll, ist darzulegen. Nach § 32 Abs. 2 des Gesetzes zur Ausführung des Baugesetzbuches wird die Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften dieses Gesetzes nach Ablauf der in Satz 1 genannten Fristen unbeachtlich…“
11. Mit am 8. April 2019 beim Oberverwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz hat die Antragstellerin sinngemäß beantragt, die Verordnung über die Veränderungssperre sowie die Verordnung über die Verlängerung der Veränderungssperre für unwirksam zu erklären. Zur Begründung hat sie mit Schriftsatz vom 10. Februar 2020 ausgeführt, mehrere Rechtsgutachten seien zu dem Ergebnis gekommen, dass die von ihr beantragten Ausnahmen und die denkmalrechtliche Erlaubnis zu erteilen seien und sich der Antragsgegner anderenfalls schadensersatzpflichtig mache. Die Normenkontrolle sei begründet. Es fehle bereits an einem wirksamen Aufstellungsbeschluss des zuständigen Organs. Die BVV sei nicht berechtigt gewesen, die Aufstellung eines Bebauungsplans für das Grundstück der Antragstellerin zu beschließen. Denn der Erlass von Aufstellungsbeschlüssen für bezirkliche Planungen obliege allein den Bezirksämtern. Außerdem diene die Veränderungssperre nicht der Sicherung einer Planung. Das Bebauungsplanverfahren sei nur vorgeschoben, um ihr Bauvorhaben zu verhindern. Das Bezirksamt habe das Ersuchen, einen Bebauungsplan aufzustellen, zu Recht abgelehnt, weil das im Beschluss der BVV formulierte Planungsziel der Sicherung eines Standorts für eine Kindertagesstätte nicht abschließend sein könne. Der zu prüfende Standort würde nämlich nur eine Teilfläche des betroffenen Grundstückes in Anspruch nehmen. Auch seien seit der Bekanntmachung der Veränderungssperre und ihrer Verlängerung keine weiteren Verfahrensschritte unternommen worden, um der Aufstellung eines Bebauungsplans für das Grundstück näher zu kommen. Außerdem lasse die vorgebliche Planung des Bezirks das gebotene Mindestmaß an Konkretisierung vermissen. Die Planungsunterlagen ließen nicht erkennen, wie sich der Antragsgegner die angeblich angestrebte Ausweisung des 5.860 m² großen Privatgrundstücks als Gemeinbedarfsfläche im Einzelnen vorstelle, zumal der angebliche Bedarf an Kita-Plätzen durch nichts belegt sei und ggf. auf landeseigenen Flächen gedeckt werden könne.
12. Der Antragsgegner hat auf gerichtliche Nachfrage mit Schriftsatz vom 16. April 2021 mitgeteilt, dass eine weitere Verlängerung der Veränderungssperre nicht erfolgt sei.
13. Die Antragstellerin hat daraufhin mit Schriftsatz vom 23. April 2021 ergänzend vorgetragen, sie beabsichtige, einen Amtshaftungsanspruch gegen den Antragsgegner nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG gerichtlich geltend zu machen. Eine solche Amtshaftungsklage sei nicht offensichtlich aussichtslos. Die Veränderungssperre und ihre Verlängerung hätten zu einer erheblichen Verzögerung ihres Bauvorhabens geführt, wodurch ihr entsprechend hohe finanzielle Schäden entstanden seien. Wären die beantragten planungsrechtlichen Ausnahmen und die denkmalrechtliche Erlaubnis ohne Verzögerung durch den Antragsgegner erteilt worden, hätte sie bereits im Herbst des Jahres 2016 mit der Errichtung ihres Vorhabens beginnen können. Das Vorhaben wäre, einen üblichen Bauablauf unterstellt, dann spätestens im Oktober 2018 fertiggestellt worden. Ab diesem Zeitpunkt hätte sie – wenn man von einer durchschnittlichen Kaltmiete in Höhe von nur 12 Euro/m² ausgehe – Einnahmen aus der Vermietung der Wohnungen innerhalb der Gebäude in Höhe von 1.034.784 Euro pro Jahr erzielen können. Die Höhe des im Rahmen des geplanten Amtshaftungsprozesses angestrebten Schadenersatzes lasse sich jedoch noch nicht abschließend beziffern, da die Verzögerung des Bauvorhabens durch den Antragsgegner andauere. Gehe man davon aus, dass das Vorhaben ohne verzögerte Bescheidung der Ausnahmeanträge spätestens im Oktober 2018 fertiggestellt worden wäre und die einzelnen Wohnungen ab diesem Zeitpunkt vermietet worden wären, wären ihr für den Zeitraum der verzögerten Fertigstellung bisher Mieteinnahmen in Höhe ca. 2,6 Mio. Euro entgangen (7.186 m² Gesamtwohnfläche x 12 Euro/m² Durchschnittskaltmiete x 30 Monate Verzögerungszeitraum), die sie im Rahmen des angestrebten Amtshaftungsanspruchs als Schaden geltend machen werde. Außerdem werde die rechtswidrige Verzögerung des Bauvorhabens zu deutlich höheren Baukosten führen. Gehe man von einer durchschnittlichen jährlichen Steigerung des Baukostenniveaus von fünf Prozent aus, was den Steigerungsraten der letzten Jahre entspreche, sei mit Blick auf das Vorhaben der Antragstellerin mit einer Steigerung der von ihr im Genehmigungsfreistellungsverfahren angegebenen Baukosten von 19.444.600 Euro um ca. 5 Millionen Euro auszugehen.
14. Die Antragstellerin beantragt,
15. festzustellen, dass die Verordnung über die Veränderungssperre 4-68/30 im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, Ortsteil Wilmersdorf, vom 27. März 2018 und die Verordnung über die Verlängerung der Veränderungssperre 4-68/30 vom 26. Juni 2018 unwirksam waren.
16. Der Antragsgegner beantragt,
17. den Antrag zurückzuweisen.
18. Er trägt vor, die Veränderungssperre sei wirksam gewesen. Die Voraussetzungen für ihren Erlass hätten in Anbetracht der geringen Größe des Plangebiets vorgelegen. Es reiche aus, dass eine Vorstellung über die künftige Art der baulichen Nutzung vorgelegen habe.
19. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Aufstellungsvorgänge der Veränderungssperre und des Bebauungsplans 4-68 sowie die Akte VG 19 K 664.17 nebst Verwaltungsvorgängen Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
20. Der Normenkontrollantrag hat Erfolg.
21. 1. Er ist in der zuletzt gestellten Fassung zulässig.
22. a. Die Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist bezüglich der Veränderungssperre und ihrer Verlängerung eingehalten.
23. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind die ursprüngliche Veränderungssperre und ihre Verlängerung als Einheit anzusehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2004 – 4 CN 16.03 – juris Rn. 16), so dass es für die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO maßgeblich auf den Zeitpunkt der Verkündung der Rechtsverordnung über die Verlängerung der Veränderungssperre ankommt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Mai 2016 – OVG 10 S 35.15 – juris Rn. 6). Insoweit hätte die Normenkontrolle vorliegend bis zum 17. Juli 2019 erhoben werden müssen. Das war der Fall.
24. Nichts anderes gälte aber auch, wenn für die Berechnung der Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO auf die Bekanntmachung der (Ausgangs-)Veränderungssperre abgestellt würde. Auch in diesem Fall wäre der Eingang des Normenkontrollantrags am 8. April 2019 als rechtzeitig anzusehen. Die Veränderungssperre ist nämlich im Gesetz- und Verordnungsblatt vom 7. April 2018 bekannt gegeben worden. Die Jahresfrist endete gemäß § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 2 ZPO erst mit Ablauf des 8. April 2019, weil es sich bei dem 7. April 2019 um einen Sonntag handelte.
25. b. Als Eigentümerin des überplanten Grundstücks ist die Antragstellerin nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO grundsätzlich antragsbefugt. Denn sie ist durch die Einschränkungen der Baufreiheit, die die Veränderungssperre begründet, unmittelbar in ihrer durch Art. 14 GG geschützten Rechtsstellung betroffen.
26. c. Dass die Veränderungssperre zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits außer Kraft getreten war, steht der Zulässigkeit des Normenkontrollantrags nicht entgegen.
27. aa. Die Antragstellerin hat ihren Antrag dahin umgestellt, dass sie nunmehr die Feststellung der Unwirksamkeit der Veränderungssperre und ihrer Verlängerung begehrt. Dies ist nicht zu beanstanden. Denn in dem Übergang auf den Feststellungsantrag liegt eine zulässige Einschränkung des ursprünglichen Antrags gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO.
28. bb. Durch das Außerkrafttreten der Veränderungssperre ist die Antragsbefugnis der Antragstellerin nicht nachträglich entfallen.
29. (1) Tritt eine Norm während der Anhängigkeit eines zulässigen Normenkontrollantrags außer Kraft, so liegt eine nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO beachtliche Beschwer gleichwohl vor, wenn derjenige, der das Normenkontrollverfahren eingeleitet hat, ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat, dass die Norm ungültig war (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. September 1983 – 4 N 1.83 – juris Rn. 7 ff., 11; Senatsbeschluss vom 10. Oktober 2019 – OVG 2 A 23.17 – EA S. 6; VGH München, Urteil vom 26. Februar 2021 – 1 N 18.899 – juris Rn. 12). Ein solches Interesse besteht u.a. dann, wenn die begehrte Feststellung präjudizielle Wirkung für die Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit eines auf die Norm gestützten behördlichen Verhaltens und damit für in Aussicht genommene Entschädigungsansprüche haben kann. Die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen oder einer Entschädigung muss dergestalt ernsthaft beabsichtigt sein, dass eine entsprechende Klage bereits anhängig oder ihre alsbaldige Erhebung mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist. Außerdem müssen konkrete Angaben zum behaupteten Schaden bzw. zur Schadenshöhe gemacht werden (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Oktober 2019, a.a.O., EA S. 8). Schließlich darf der in Aussicht genommene Entschädigungs- oder Schadensersatzprozess nicht offensichtlich aussichtslos sein (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. September 1983, a.a.O., Rn. 12).
30. (2) Danach ist das erforderliche Feststellungsinteresse der Antragstellerin gegeben.
31. (a) Die Antragstellerin hat hinreichend dargetan, dass sie ernsthaft beabsichtigt, einen Amtshaftungsanspruch gegen den Antragsgegner nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 Satz 1 GG gerichtlich geltend zu machen. Durchgreifende Zweifel am Bestehen einer solchen Absicht bestehen nicht. Der Aufstellungsvorgang enthält mehrere gutachterliche Stellungnahmen, die einer Schadensersatzklage der Antragstellerin Erfolgsaussichten bescheinigen. Gründe, die die Annahme rechtfertigen könnten, die Antragstellerin werde auf etwaige ihr zustehende Schadensersatzzahlungen verzichten, sind nicht zu erkennen.
32. (b) Die Antragstellerin hat konkrete und nachvollziehbare Angaben zur Schadenshöhe gemacht. Sie hat vorgetragen, sie hätte die von ihr im Falle einer zeitnahen Genehmigungs- bzw. Ausnahmeerteilung bereits vor einiger Zeit fertiggestellten Wohnungen vermietet und substantiiert dargelegt, welche Mieteinnahmen sie in diesem Falle hätte erzielen können. Außerdem hat sie vorgetragen, inwieweit ihr Bauvorhaben aufgrund einer Erhöhung der Baukosten durch die Verzögerung teurer werden wird. Der Antragsgegner ist dem nicht substantiiert entgegengetreten.
33. Soweit er in der mündlichen Verhandlung die Ansicht geäußert hat, bei der Schadensermittlung sei eine zwischenzeitlich eingetretene Grundstückswerterhöhung schadensmindernd zu berücksichtigen, vermag er hiermit nicht durchzudringen. Es ist schon nicht ersichtlich, dass eine – unterstellte – Grundstückswerterhöhung die Höhe der von der Antragstellerin genannten Schadenspositionen vermindern würde. Die Höhe von Mieteinnahmen und Baukosten ergibt sich aus vertraglichen Vereinbarungen, wobei die vertraglichen Konditionen regelmäßig in keinem direkten Zusammenhang mit dem Wert des jeweiligen Grundstücks stehen.
34. Dass die Antragstellerin die Höhe eines Schadensersatzanspruchs noch nicht abschließend beziffern kann, ist nachvollziehbar und steht der Zulässigkeit eines Feststellungsantrags nicht entgegen.
35. (c) Die von der Antragstellerin in Aussicht genommene Schadensersatzklage ist auch nicht offensichtlich aussichtslos. Dies wäre zwar der Fall, wenn die von der Antragstellerin beantragten bauplanungsrechtlichen Ausnahmen und die denkmalrechtliche Genehmigung unabhängig vom Vorliegen einer Veränderungssperre offensichtlich nicht erteilt werden dürften. Ein solcher Fall liegt aber nicht vor. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es nicht Aufgabe des Oberverwaltungsgerichts ist, in eine eingehende Bewertung des Vorbringens der Beteiligten über die Begründetheit oder Unbegründetheit einer Schadensersatz- oder Entschädigungsklage einzutreten.Nur wenn es für das Oberverwaltungsgericht auf der Hand liegt, dass eine solche Klage unter jedem in Betracht kommenden Gesichtspunkt aussichtlos ist, fehlt für die begehrte Feststellung das berechtigte Interesse (vgl. BVerwG, a.a.O.). Gemessen hieran ist der Antragstellerin das geltend gemachte Feststellungsinteresse nicht abzusprechen.
36. (aa) Dass die Antragstellerin die von ihr begehrte denkmalrechtliche Genehmigung offensichtlich nicht erhalten könnte, lässt sich nicht feststellen. Hiergegen spricht bereits, dass das Bauvorhaben der Antragstellerin nach dem unwidersprochenen Vorbringen der Antragstellerin von den zuständigen Stellen des Antragsgegners zunächst im Wesentlichen denkmalrechtlich gebilligt worden ist. Außerdem erweist sich die denkmalrechtliche Beurteilung des Bauvorhabens der Antragstellerin nach Aktenlage als nicht eindeutig. Insoweit muss zunächst geklärt werden, ob die Tennisplätze Teil des Denkmalbereichs sind oder ob es für die Bebauung maßgeblich (nur) auf den Umgebungsschutz von Denkmalen ankommt. Sodann bedarf es einer genaueren Betrachtung u.a. der maßgeblichen Denkmalkategorien. Dass eine solche Prüfung offensichtlich zum Nachteil der Antragstellerin ausgehen müsste, ist nicht zu erkennen.
37. (bb) Auch die Erteilung der beantragten bauplanungsrechtlichen Ausnahmen von den Bestimmungen des § 8 Nr. 1 Buchst. a BO 58, des § 8 Nr. 18 BO 58 und des § 7 Nr. 13 Satz 2 i.V.m. Nr. 15 BO 58 scheidet nicht offensichtlich aus. Die Antragstellerin beruft sich insoweit auf § 8 Nr. 2 BO 58, § 8 Nr. 18 Satz 3 BO 58, § 7 Nr. 14 und § 31 Abs. 1 BauGB. Danach kommt es darauf an, ob den Ausnahmen keine städtebauliche Gründe entgegenstehen bzw. ob die bauliche Nutzung im Rahmen der Geschossflächenzahl liegt. Die Antragstellerin macht geltend, diese Voraussetzungen seien gegeben. Schon die vorhandene Bebauung widerspreche dem Prinzip der Freihaltung des Innenraums nachhaltig und bei einer ausnahmsweise nach § 8 Nr. 2 BO 58 zugelassenen Überschreitung der Bebauungstiefe für Grundstücke oder Gebäudeteile in rückwärtigen Grundstücksbereichen gelte wieder die offene Bauweise. Außerdem halte das Vorhaben auch bei sechs Vollgeschossen die Geschossflächenzahl von 1,5 ein. Dementsprechend ist der Antragsgegner – den von ihm eingeholten Rechtsgutachten folgend (vgl. Bl. 166 ff. und Bl. 196 ff. BA zu Bl. 319 des Verfahrens VG 19 K 664.17) – zunächst selbst davon ausgegangen, dass die beantragten Ausnahmen zu erteilen seien (vgl. z.B. Bl. 3 des Aufstellungsvorganges des Bebauungsplans). Hiervon hat das Bezirksamt in der Folgezeit ersichtlich nur mit Rücksicht auf die BVV und das von ihr vorangetriebene Bauplanungsverfahren Abstand genommen. Davon, dass die Ausnahmen offensichtlich nicht erteilt werden könnten, kann angesichts dessen nicht die Rede sein.
38. (d) Der Zulässigkeit des Feststellungsbegehrens der Antragstellerin kann ferner nicht entgegengehalten werden, dass es an einem „auf die Norm gestützten“ Verhalten des Antragsgegners fehle (vgl. hierzu BVerwG, a.a.O., Rn. 11). Zwar ist dem Antragsgegner in erster Linie die Untätigkeit in Bezug auf die beantragten Ausnahmen und die denkmalrechtliche Genehmigung vorzuwerfen, die unabhängig von dem Außerkrafttreten der (verlängerten) Veränderungssperre fortdauert. Diese Untätigkeit hat der Antragsgegner jedoch zunächst auch mit der streitgegenständlichen Veränderungssperre gerechtfertigt. Dem Aufstellungsvorgang der Veränderungssperre kann nämlich entnommen werden, dass dem Antragsgegner daran gelegen war, sich in dem Verfahren VG 19 K 664.17 auf die Existenz der Veränderungssperre stützen zu können („Die Veränderungssperre zum W… muss binnen der Klageerwiderungsfrist erlassen werden“, vgl. Bl. 4 des Aufstellungsvorgangs zur Veränderungssperre). Das Risiko, in Bezug auf die bauplanungsrechtlichen Ausnahmen und die denkmalrechtliche Genehmigung ohne Rechtfertigung durch eine Veränderungssperre schlicht untätig zu bleiben, war ihm erkennbar zu hoch.
39. Unabhängig hiervon erschiene es ohne die von der Antragstellerin begehrte Entscheidung des Senats nicht ausgeschlossen, dass sich der Antragsgegner in einem künftigen Schadensersatzprozess damit rechtfertigen könnte, dass das Unterlassen der Erteilung der begehrten Ausnahmen sowie der denkmalrechtlichen Genehmigung während der Dauer der Gültigkeit der Veränderungssperre nicht rechtswidrig gewesen sei, weil das Grundstück in dieser Zeit ohnehin nicht in der vorgesehenen Weise hätte bebaut werden dürfen. Die Entscheidung des Senats über den gestellten Feststellungsantrag kann einer solchen Argumentation die Grundlage entziehen.
40. 2. Der Feststellungsantrag ist begründet. Die in Rede stehende Veränderungssperre und ihre Verlängerung waren unwirksam.
41. a. Die Veränderungssperre 4-68/30 im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin, Ortsteil Wilmersdorf, vom 27. März 2018 litt unter beachtlichen Fehlern, die zu ihrer Unwirksamkeit führten.
42. aa. Rechtsgrundlage für den Erlass der Veränderungssperre war § 14 Abs. 1 BauGB. Danach kann die Gemeinde, wenn ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst ist, zur Sicherung der Planung für den künftigen Planbereich eine Veränderungssperre u.a. mit dem Inhalt beschließen, dass Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB nicht durchgeführt werden dürfen.
43. bb. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners lagen die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 BauGB nicht vollständig vor.
44. (1) Anders als die Antragstellerin meint stand der Wirksamkeit der Veränderungssperre allerdings nicht schon entgegen, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre kein wirksamer Aufstellungsbeschluss existierte.
45. (a) Zwar ist der Einwand der Antragstellerin, die BVV sei für den Erlass des Aufstellungsbeschlusses nicht zuständig gewesen, nicht schon deshalb unbeachtlich, weil er erstmals mit der Antragsbegründung vom 10. Februar 2020 und damit nicht innerhalb der Jahresfrist des § 32 Abs. 2 Satz 1 AGBauGB vorgebracht worden ist. Ein etwaiger Zuständigkeitsmangel wäre nicht nach dieser Vorschrift unbeachtlich geworden, weil der Antragsgegner den hierfür erforderlichen Hinweis (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 3 AGBauGB) nicht ordnungsgemäß erteilt hatte. Der Senat hat bereits entschieden, dass die vom Antragsgegner für den Hinweis gewählte Formulierung zu beanstanden ist, weil sie unrichtig ist und potentielle Rügeführer davon abhalten kann, Fehler zu rügen (vgl. z.B. Urteil des Senats vom 26. März 2021 – OVG 2 A 13.19 – juris Rn. 40 f.). Denn der Hinweis kann durch die Verknüpfung von Rüge und Überprüfung der Rechtswirksamkeit der Verordnung dahin verstanden werden, dass derjenige, der ein gerichtliches Normenkontrollverfahren einleiten will, Mängel zuvor selbst fristgemäß gerügt haben müsse, obgleich eine Rüge „inter omnes“, d.h. allgemein und absolut für jedermann wirkt, also nicht nur zugunsten desjenigen, der den Mangel ordnungsgemäß geltend gemacht hat (vgl. Urteil des Senats vom 26. März 2021, a.a.O.).
46. (b) Der Einwand der Antragstellerin, die BVV sei für den Erlass eines Aufstellungsbeschlusses unzuständig gewesen, greift vorliegend aber nicht durch.
47. (aa) Unerheblich ist allerdings, dass das Bezirksamt am 21. April 2021 einen (neuen) Aufstellungsbeschluss für das fragliche Grundstück gefasst hat. Hierdurch wäre ein Zuständigkeitsfehler bei Erlass des ursprünglichen Aufstellungsbeschlusses nicht rückwirkend geheilt worden. Denn § 14 Abs. 1 BauGB verlangt, dass der (wirksame) Aufstellungsbeschluss schon bei Erlass der Veränderungssperre vorliegt und dass spätestens gleichzeitig mit der Veränderungssperre die öffentliche Bekanntgabe des Aufstellungsbeschlusses erfolgt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 1989 – 4 B 236/88 – juris Rn. 4 ff.). Diese Voraussetzungen können rückwirkend nicht herbeigeführt werden.
48. (bb) Es ist aber nicht zu beanstanden, dass der Aufstellungsbeschluss nicht vom Bezirksamt, sondern von der BVV gefasst wurde.
49. Unerheblich ist, dass sich eine Zuständigkeit der BVV für den Erlass von Aufstellungsbeschlüssen nicht unmittelbar aus § 12 Abs. 2 Nr. 4 BezVG ergibt, weil ein Aufstellungsbeschluss nicht „nach Bundesrecht durch Satzung zu regeln“ ist. Denn nach § 12 Abs. 3 Satz 1 BezVG kann die BVV – sofern (wie hier) kein Fall des § 12 Abs. 3 Satz 2 BezVG vorliegt – u.a. im Falle des § 13 Abs. 2 BezVG Entscheidungen des Bezirksamts aufheben und selbst entscheiden.
50. § 13 Abs. 2 BezVG betrifft Maßnahmen des Bezirksamts, die einem von der BVV gemäß § 13 Abs. 1 BezVG angeregten Verwaltungshandeln nicht voll entsprechen, obwohl sie in die bezirkliche Zuständigkeit fallen (vgl. § 13 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 BezVG). Diese Voraussetzungen lagen hier vor.
51. Die BVV hatte das Bezirksamt mit Beschluss vom 15. September 2016 ersucht, die „Einleitung eines Bebauungsplanverfahrens“ für das Plangebiet „zu prüfen“. Entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung der Antragstellerin stand einer solchen Bitte nicht entgegen, dass der BVV kein „Initiativrecht“ zugestanden hätte. Vielmehr spricht § 13 Abs. 1 BezVG gerade von einem von der BVV „angeregten Verwaltungshandeln“ und umfasst hiermit auch das Recht der BVV, die Einleitung eines Bebauungsplanverfahrens zu fordern.
52. Soweit § 13 Abs. 2 BezVG voraussetzt, dass Maßnahmen des Bezirksamts dem von der BVV angeregten Verwaltungshandeln „nicht voll entsprechen“, war auch dies vorliegend der Fall. Denn das Bezirksamt war dem – danach hier zulässigen – Ersuchen der BVV nach Einleitung eines Bebauungsplanverfahrens für das Grundstück der Antragstellerin entgegengetreten (vgl. Bl. 1 f. des Aufstellungsvorgangs zum Bebauungsplan). Unerheblich ist, dass das Bezirksamt die Bitte der BVV vollumfänglich abgelehnt hatte. Denn Fälle, in denen das Bezirksamt einer Empfehlung bzw. einem Ersuchen der BVV gar nicht entspricht, fallen erst recht unter das Selbstentscheidungsrecht der §§ 12 Abs. 3 Satz 1, 13 Abs. 2 BezVG.
53. Unerheblich ist weiter, dass die BVV das Bezirksamt nicht ausdrücklich um den Erlass eines Aufstellungsbeschlusses ersucht, sondern (zunächst) nur die Prüfung der Einleitung eines Bebauungsplanverfahrens erbeten hatte. Denn die Ablehnung eines ausdrücklichen Ersuchens um Erlass eines Aufstellungsbeschlusses lag bereits unmittelbar in der Antwort des Bezirksamts auf die Bitte um Prüfung, weil das Bezirksamt in diesem Zusammenhang selbst auf die Bestimmung des § 12 Abs. 3 BezVG hingewiesen und mitgeteilt hatte, dass die BVV „diese Entscheidung des Bezirksamts aufheben und selbst die Einleitung eines Bebauungsplans entscheiden“ könne.
54. (2) Die Veränderungssperre diente jedoch nicht, wie von § 14 Abs. 1 BauGB vorgesehen, der Sicherung der Planung für den künftigen Planbereich.
55. (a) Allerdings folgt der Senat nicht der Auffassung der Antragstellerin, dass die in dem Aufstellungsbeschluss und der Veränderungssperre genannte Planungsabsicht nicht hinreichend konkret gewesen sei. Zwar trifft es zu, dass § 14 Abs. 1 BauGB voraussetzt, dass die Planung, die die Veränderungssperre sichern soll, bereits ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll (vgl. Urteil des Senats vom 20. September 2006 – OVG 2 A 10.05 – juris Rn. 25). Denn die nachteiligen Wirkungen der Veränderungssperre wären – auch vor dem Hintergrund des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG – nicht erträglich, wenn sie zur Sicherung einer Planung dienen sollen, die sich in ihrem Inhalt noch in keiner Weise absehen lässt. Auch gehört ein Mindestmaß an konkreter planerischer Vorstellung zur Konzeption des § 14 BauGB. Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 kann eine Ausnahme von der Veränderungssperre zugelassen werden, wenn überwiegende öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Ob der praktisch wichtigste Belang, nämlich die Vereinbarkeit des Vorhabens mit der beabsichtigten Planung, beeinträchtigt ist, kann aber nur beurteilt werden, wenn die planerischen Vorstellungen der Gemeinde nicht völlig offen sind (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2004, a.a.O., Rn. 28).
56. Vorliegend hielten die vom Antragsgegner genannten Planungsabsichten jedoch das gebotene Mindestmaß an Konkretheit in diesem Sinne ein. Ausreichend hierfür ist nämlich grundsätzlich, dass sich die Gemeinde im Zeitpunkt des Erlasses einer Veränderungssperre Vorstellungen über die Art der baulichen Nutzung gemacht hat, sei es, dass sie einen bestimmten Baugebietstyp festsetzen will, sei es, dass sie nach den Vorschriften des § 9 Abs. 1 bis 2a BauGB festsetzbare Nutzungen ins Auge gefasst hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. August 2016 – 4 C 5/15 – juris Rn. 19). Auf solche Planungsvorstellungen hat sich der Antragsgegner vorliegend berufen. Denn er hat geltend gemacht, er wolle das gesamte Gebiet als Gemeinbedarfsfläche für eine Kindertagesstätte mit öffentlicher Durchwegung festsetzen. Dies ist vom Grundsatz her nicht zu beanstanden. Denn nach § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB können im Bebauungsplan aus städtebaulichen Gründen Flächen für den Gemeinbedarf festgesetzt werden. Hierbei ist es zulässig, eine Fläche für einen Kindergarten vorzusehen (vgl. Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: Oktober 2020, Rn. 61 zu § 9). Da vorliegend das gesamte Gebiet als Gemeinbedarfsfläche für eine Kindertagesstätte ausgewiesen und daneben nur ein öffentlicher Weg festgesetzt werden sollte, konnten keine Zweifel in Bezug auf die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben und die Erteilung einer Ausnahme nach § 14 Abs. 2 Satz 1 BauGB entstehen.
57. (b) Eine Veränderungssperre ist als Sicherungsmittel jedoch auch dann ungeeignet, wenn sich das Planungsziel des Bebauungsplans rechtmäßig nicht erreichen lässt (vgl. OVG Münster, Urteil vom 25. Januar 2021 – 2 D 131/20.NE – juris Rn. 46). Zwar hat insoweit bei Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Veränderungssperre keine antizipierte Normenkontrolle des künftigen Bebauungsplans stattzufinden, weil dies mit der Sicherungsfunktion einer Veränderungssperre und dem Umstand, dass lediglich eine künftige Planung in Rede steht, nicht vereinbar wäre (vgl. OVG Münster, Urteil vom 27. Februar 1996 – 11 A 3960/95 – juris Rn. 41). Beachtlich bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Veränderungssperre sind jedoch solche rechtlichen Mängel, die schlechterdings nicht behebbar sind. Insoweit ist eine Veränderungssperre unwirksam, wenn sie eine offensichtlich unzulässige Bebauungsplanung sicherstellen soll (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 1993 – 4 NB 40/93 – juris Rn. 3; Urteil des Senats vom 20. September 2006, a.a.O., Rn. 35 ff.).
58. Ein solcher Fall war hier gegeben. Denn dem Antragsgegner musste sich bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre (vgl. OVG Münster, Urteil vom 25. Januar 2021, a.a.O., Rn. 50) aufdrängen, dass die von ihm in der Begründung der Veränderungssperre genannte Planung nicht mit dem Eigentumsgrundrecht der Antragstellerin (vgl. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) vereinbar sein werde.
59. Setzt ein Bebauungsplan – wie hier als Planungsabsicht formuliert – für ein bisher privates Grundstück eine Gemeinbedarfsfläche fest, bedarf es bei der Aufstellung des Plans zwar keiner vollen Prüfung der Enteignungsvoraussetzungen. Denn mit der Festsetzung von Flächen öffentlicher Nutzung ist noch keine Entscheidung über die Zulässigkeit einer Enteignung dieser Flächen verbunden. Ob der Vollzug der Festsetzung es erfordert, das Grundstück seinem bisherigen Eigentümer hoheitlich zu entziehen, ist vielmehr erst in einem späteren Enteignungsverfahren zu entscheiden. Gleichwohl muss die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten eines Grundstücks von der Gemeinde als ein wichtiger Belang privater Eigentümerinteressen in der nach § 1 Abs. 7 BauGB gebotenen Abwägung der öffentlichen und privaten Belange beachtet werden (vgl. zu allem Urteil des Senats vom 30. Januar 2019 – OVG 2 A 22.17 – juris Rn. 53 ff. m.w.N.). Dabei ist im Rahmen der Prüfung der Erforderlichkeit des Grundrechtseingriffs zu untersuchen, ob es ein milderes Mittel gibt, das zur Zweckerreichung gleich geeignet ist, den Eigentümer aber weniger belastet. Ein solches milderes Mittel existiert namentlich dann, wenn das Planvorhaben gleich gut auch auf Grundstücken der öffentlichen Hand verwirklicht werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juni 2002 – 4 CN 6/01 – juris Rn. 13). Gleiches gilt, wenn den verfolgten Gemeinwohlzwecken in einer den Eigentümer schonenderen Weise Rechnung getragen werden kann. Weiter muss der Grundrechtseingriff angemessen sein, d.h. der beabsichtigte Zweck des Eingriffs darf nicht außer Verhältnis zu seiner Schwere stehen (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne).
60. Zwar war dem Antragsgegner der Umstand, dass als Standort für eine Kindertagesstätte außer dem Plangebiet auch diverse Grundstücke in der Umgebung in Betracht kamen, die sich im Eigentum der öffentlichen Hand befanden, zum Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre noch nicht bekannt (vgl. Gutachten vom 11. Dezember 2019, Bl. 122 des Aufstellungsvorgangs zum Bebauungsplan). Bekannt war ihm jedoch bereits seit Oktober 2016 die Einschätzung der Abteilung Jugend, Familie, Schule, Sport und Umwelt vom 8. Oktober 2016, dass in der Bezirksregion H… ein Platzdefizit an Tagesbetreuungsplätzen in Höhe von nur 177 Plätzen bestehen werde und „für einen solitären Kitabau“ allenfalls „ca. 3.000 bis 3.200 qm vom Grundstück“ benötigt werden würden. Angesichts dessen – und der Lage des Plangebiets in einem allgemeinen Wohngebiet der Baustufe V/3 nach BO 58, die Anlass hätte geben müssen, auch die Errichtung mehrgeschossiger Gebäude in Erwägung zu ziehen – musste es sich ihm aufdrängen, dass sich die Ausweisung des gesamten Plangebiets als Gemeinbedarfsfläche für eine Kindertagesstätte nicht als erforderlich und angemessen erweisen werde. Der in der vorgeblich beabsichtigten Planung liegende Grundrechtseingriff stellte sich insoweit schon bei Erlass der Veränderungssperre als offensichtlich unverhältnismäßig dar.
61. Unerheblich ist hierbei der in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Einwand des Antragsgegners, es bestehe auf dem Grundstück der Antragstellerin ohnehin kein Baurecht, weil dieses wegen seiner Lage im Blockinnenbereich ohne die Erteilung einer planungsrechtlichen Ausnahme nicht bebaut werden dürfe. Denn ausreichend ist insoweit, dass das Grundstück planungsrechtlich in einem allgemeinen Wohngebiet der Baustufe V/3 nach BO 58 liegt und die Erteilung erforderlicher Ausnahmen gemäß § 8 Nr. 2 und Nr. 18 Satz 3 BO 58 nicht offensichtlich ausscheidet. In Bezug auf Letzteres kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die obigen Ausführungen verwiesen werden.
62. (c) Außerdem war die streitgegenständliche Veränderungssperre auch deshalb unwirksam, weil sie nach der Überzeugung des Senats der Sicherung einer bloßen Negativplanung diente, die sich darin erschöpfte, das Bauvorhaben der Antragstellerin zu verhindern. Eine solche Negativplanung reicht für den Erlass einer Veränderungssperre nicht aus (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2004, a.a.O., Rn. 28; Urteil des Senats vom 20. September 2006, a.a.O., Rn. 25).
63. Der Senat verkennt nicht, dass es einer Gemeinde nicht verwehrt ist, auf einen konkreten Bauantrag mit der Aufstellung eines Bebauungsplans zu reagieren, um dem Vorhaben die materielle Rechtsgrundlage zu entziehen. Eine unzulässige Negativplanung liegt danach nicht schon deswegen vor, weil die Gemeinde die Planung aus Anlass eines konkreten, bisher zulässigen Vorhabens betreibt, das sie verhindern will, oder weil sie das Ziel verfolgt, eine Ausweitung bestimmter bisher zulässiger Nutzungen zu verhindern, selbst wenn dies jeweils den Hauptzweck einer konkreten Planung darstellt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. September 2016 – 4 BN 22/16 – juris Rn. 5). Maßgeblich ist vielmehr, ob die angedachte Planung für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung i.S.v. § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB erforderlich ist und die in Aussicht genommenen Festsetzungen in ihrer eigentlich gleichsam positiven Zielsetzung gewollt und erforderlich sind. Sie dürfen nicht lediglich das vorgeschobene Mittel sein, um einen Bauwunsch zu durchkreuzen (vgl. OVG Münster, Urteil vom 25. Januar 2021, a.a.O., Rn. 43).
64. Der Senat ist unter Berücksichtigung aller den Aufstellungsvorgängen und der Gerichtsakte zu entnehmenden Erkenntnisse davon überzeugt, dass die in Aussicht genommenen Festsetzungen vorliegend lediglich das vorgeschobene Mittel waren, um den Bauwunsch der Antragstellerin zu durchkreuzen.
65. Erstes Indiz hierfür ist schon die Begründung des Aufstellungsbeschlusses und der Veränderungssperre. Denn dort ist davon die Rede, dass „auch weitere Gemeinbedarfsbedürfnisse“ in die Prüfung eingehen sollten. Hiermit hat der Antragsgegner nach Auffassung des Senats zum Ausdruck gebracht, dass er das behauptete Planungsziel der (ausschließlichen) „Festsetzung einer Gemeinbedarfsfläche zur Nutzung als Kindertagesstätten-Standort“ nebst „Sicherung einer öffentlich nutzbaren Durchwegung auf dem Plangebiet“ gar nicht ernsthaft verfolgte. Vielmehr ging es ihm ersichtlich darum, einstweilen den Bauwunsch der Antragstellerin zu durchkreuzen, um sich über die weitere Verwendung des Grundstücks der Antragstellerin in Ruhe Gedanken machen zu können.
66. Die weiteren Umstände des Falles bestätigen diesen Befund. So rechtfertigt namentlich die Tatsache, dass der Antragsgegner das Bauvorhaben der Antragstellerin anfänglich befürwortend begleitet und im Rahmen des denkmalrechtlichen Gutachterverfahrens keine Einwendungen hiergegen erhoben hatte, den Schluss auf das Vorliegen einer unzulässigen Negativplanung. Denn erst nachdem sich das Bezirksamt bereits entschieden hatte, die beantragten planungsrechtlichen Ausnahmen zu erteilen, entstand in der BVV die Auffassung, dass es aus städtebaulicher Sicht erforderlich sei, das Plangebiet für eine Kindertagesstätte vorzuhalten. Dieses vorgebliche Planungsziel wurde nach Aktenlage sehr kurzfristig und überraschend gefasst. Die Entstehung der vermeintlichen Planungsabsicht vermittelt zudem einen eher beliebigen Eindruck, weil es zu diesem Zeitpunkt keinerlei Feststellungen dazu gab, dass dem Planungsziel ein ausreichender Bedarf an Kindertagesstättenplätzen zugrunde lag. Bekannt war vielmehr schon vor dem Erlass des Aufstellungsbeschlusses, dass jedenfalls kein ausreichender Bedarf für eine Kindertagesstätte in Form eines das gut 5.800 m² große Plangebiet ausschöpfenden Solitärbaus bestehen werde. Angesichts dessen ist in keiner Weise plausibel, dass der Antragsgegner tatsächlich davon ausgegangen sein könnte, es bestehe ein Sicherungsbedarf in Bezug auf das gesamte Plangebiet mit Blick auf den von ihm angeführten Gemeinwohlbelang, zumal das vermeintlich überplante Grundstück im Innenstadtbereich liegt, in dem nach BO 58 eine fünfgeschossige Bebauung planungsrechtlich zulässig ist. Insoweit hätte es sich bei tatsächlichen Planungsabsichten aufgedrängt, bei der zulässigen Art der baulichen Nutzung jedenfalls nach Stockwerken zu differenzieren und insoweit eine gemischte Nutzung ins Auge zu fassen (vgl. hierzu Vorlage zur Beschlussfassung vom 21. April 2021: „Festgesetzt werden soll ein Reines Wohngebiet gemäß § 3 BauNVO, wobei die „vorgesehene Nutzung … sowohl der Kinderbetreuung als auch dem Wohnen dienen“ soll, was „neben der Zulässigkeit von Anlagen zur Kinderbetreuung … Wohngebäude“ mit einschließe, wobei „im Erdgeschoss ausschließlich die in § 3 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO genannten Kinderbetreuungsnutzungen zulässig sein“ sollen). Ein solches Planungsziel hatte der Antragsgegner vor Erlass der in Rede stehenden Veränderungssperre jedoch gerade nicht formuliert.
67. Ein weiteres starkes Indiz für eine unzulässige Verhinderungsplanung sind die in den Aufstellungsvorgängen vorhandenen zahlreichen Schreiben von Sachbearbeitern. Diese hatten es abgelehnt, am Erlass einer Veränderungssperre mitzuwirken. Sie hatten in diesem Zusammenhang auf drohende Schadensersatzansprüche hingewiesen. Dies zeigt, dass die mit der Umsetzung der vorgeblichen Planung befassten Mitarbeiter selbst davon ausgegangen sind, dass der Planung kein wirkliches Planungsziel zugrunde lag. Dass ihre Warnungen von der BVV gänzlich ignoriert worden sind, ist bei einem tatsächlichen – sachlich gefassten und weiterverfolgten – Planungsvorhaben, nicht nachvollziehbar.
68. Schließlich bestätigt die weitere Entwicklung des Planungsvorhabens nach Erlass der Veränderungssperre eindrucksvoll, dass der Antragsgegner bei Erlass der Veränderungssperre keine tatsächliche Planungsabsicht hatte. Denn innerhalb des (verlängerten) Zeitraums, in dem sich die Veränderungssperre Geltung zusprach, ist es nicht zu dem Erlass eines Bebauungsplans gekommen. Vielmehr ist das Planungsverfahren vom Antragsgegner nur insoweit weiter betrieben worden, als er ein Gutachten zur Frage alternativer Standorte für Kindertagesstätten eingeholt hat. Weitere Planungsschritte wurden zunächst nicht entfaltet. Erst kurz vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung über die Veränderungssperre wurde ein neuer Aufstellungsbeschluss mit einem geänderten Planungsziel gefasst.
69. b. Die Verlängerung der Veränderungssperre, die ihre Rechtsgrundlage in § 17 Abs. 1 Satz 3 BauGB findet, war ebenfalls nichtig. Eine Rechtsverordnung hinsichtlich der Verlängerung einer Veränderungssperre ist ohne die ursprüngliche Veränderungssperre nicht lebensfähig. Wenn die ursprüngliche Veränderungssperre an einem Rechtsfehler leidet, ist die Verlängerung schon aus diesem Grunde unwirksam (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2004 – 4 CN 16/03 – juris Rn. 16).
70. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 ZPO.
71. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.
Zuletzt aktualisiert am Juli 19, 2021 von eurogesetze
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