Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg 4. Senat. Aktenzeichen: OVG 4 N 38.18. Zur Zweckmäßigkeit des Ruhens des Verfahrens (§ 251 ZPO)

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg 4. Senat
Entscheidungsdatum: 18.06.2021
Aktenzeichen: OVG 4 N 38.18
ECLI: ECLI:DE:OVGBEBB:2021:0618.OVG4N38.18.00
Dokumenttyp: Beschluss

Zur Zweckmäßigkeit des Ruhens des Verfahrens (§ 251 ZPO)
Beamtenalimentation; Beamtenversorgung; Verfassungsmäßigkeit; Ruhensantrag; übereinstimmende Anträge; Zweckmäßigkeit des Ruhens; Ermessensentscheidung des Gerichts; Ermessensüberprüfung des Obergerichts

Verfahrensgang …
Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 27. April 2018 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Das Gericht prüft nur die vom Kläger innerhalb der Frist von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils dargelegten Gründe (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO). Gemessen an dessen Darlegungen, soweit sie die Frist wahren, hat das Verwaltungsgericht die Klage mit dem Antrag

2. festzustellen, dass die Versorgung des Klägers seit 2012 verfassungswidrig zu niedrig ist,

3. zu Recht abgewiesen.

4. Der Kläger äußert in der Zulassungsbegründung fristwahrend lediglich die Auffassung, das Verwaltungsgericht habe sich zu Unrecht über den Willen des Beklagten, das Verfahren ruhen zu lassen, hinweggesetzt, nachdem der Kläger dem zugestimmt habe.

5. Diese Begründung verhilft dem Kläger nicht zur Zulassung der Berufung. Dabei wird zu seinen Gunsten angenommen, dass er sich auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO bezieht. Nach diesem Zulassungsgrund müsste ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht werden und vorliegen, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Unter Verfahrensmängeln sind Verstöße gegen Vorschriften zu verstehen, die den Verfahrensablauf bzw. den Weg zu dem Urteil und die Art und Weise des Urteilserlasses regeln (BVerwG, Beschluss vom 12. März 2020 – 5 B 22.19 D – juris Rn. 20). Die Entscheidung kann auf einem derartigen Verstoß beruhen, wenn mindestens die Möglichkeit besteht, dass das Gericht ohne den Verfahrensverstoß zu einem für den Rechtsmittelführer sachlich günstigeren Ergebnis gelangt wäre (Seibert in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 220).

6. Wörtlich genommen setzt sich der Kläger nur dafür ein, den Willen des Beklagten zu beachten. Das obliegt indes allein dem Beklagten. Der Kläger müsste nach der Grundentscheidung des deutschen Verwaltungsprozessrechts die Verletzung eigener Rechte geltend machen (vgl. § 42 Abs. 2, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Wird die Zulassungsbegründung so gedeutet, dass es dem Kläger auch um seinen Willen geht, das Verfahren ruhen zu lassen, ist die Berufung gleichwohl nicht zuzulassen. Denn nach § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 251 ZPO hat das Gericht das Ruhen nur dann anzuordnen, wenn beide Parteien dies beantragen und anzunehmen ist, dass wegen Schwebens von Vergleichsverhandlungen oder aus sonstigen wichtigen Gründen diese Anordnung zweckmäßig ist.

7. Aus der vom Gesetz verlangten Annahme der Zweckmäßigkeit ergibt sich, dass die Beteiligten des Verwaltungsgerichtsverfahrens, die hier beide das Ruhen des Verfahrens anstreben, nicht allein über das Ruhen disponieren. Vielmehr muss die Annahme des Verwaltungsgerichts hinzutreten, dass das Ruhen aus einem wichtigen Grund zweckmäßig ist (so schon der Beschluss des Senats vom 28. Oktober 2020 – OVG 4 L 10/20 –). Das Gericht muss den Verfahrensstillstand für zweckmäßig erachten (Stadler in: Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl. 2020, § 251 Rn. 3). Es hat einen Beurteilungsspielraum (Jaspersen in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, Stand 1. September 2020, § 251 Rn. 5). Auf dasselbe Ergebnis läuft die Auffassung hinaus, das Gericht entscheide nach pflichtgemäßem richterlichen Ermessen im Einzelfall (Stackmann in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 251 Rn. 6).

8. Ob und inwieweit das Rechtsmittelgericht die (konkludente) Annahme des Vordergerichts, ein Ruhen sei mangels eines wichtigen Grunds nicht zweckmäßig, durch eine eigene Einschätzung ersetzen darf, ist umstritten (dagegen offenbar Jaspersen in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, Stand 1. September 2020, § 251 Rn. 5: „nur beschränkt nachprüfbar“; zum Problem Heydemann in: Posser/Pünder/Schröder, Rechtsgestaltung im öffentlichen Recht, 2015, 453 <463 ff.>). Diese Frage braucht hier jedoch nicht geklärt zu werden. Denn der Senat kann einen Fehler in der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht erkennen und würde die Zweckmäßigkeit eines Ruhens des Gerichtsverfahrens ebenfalls verneinen.

9. Ausgehend von der materiellrechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts wäre ein Beschluss, mit dem die am 31. Dezember 2015 erhobene Klage zum Ruhen gebracht worden wäre, kaum als ermessensfehlerfrei anzusehen. Denn die Fragen der Verfassungsgemäßheit der Beamtenalimentation im Land Berlin, auf die eine indirekte Antwort im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 – (juris) folgte, stellten sich dem Verwaltungsgericht nicht. Es stützte sein Urteil darauf, dass der Kläger bei seinem Dienstherrn einen zeitnahen Antrag auf höhere Versorgung für die streitbefangenen Jahre unterließ. Geht der Grund, der die Beteiligten bewogen haben mag, das Verfahren ruhen zu lassen, an der gerichtlichen Lösung vorbei, hat das Gericht Sorge zu tragen, dass sich die Verfahrensdauer nicht unangemessen verlängert (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. März 2018 – 5 B 26.17 D – juris Rn. 6 zu einem Aussetzungsbeschluss).

10. Schließlich bestünde nicht die Möglichkeit, dass das Gericht ohne den – hier verneinten – Verfahrensverstoß zu einem für den Rechtsmittelführer sachlich günstigeren Ergebnis gelangt wäre. Denn der Kläger setzt sich nicht mit der das Urteil tragenden Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts auseinander, dass er den für einen Klageerfolg unabdingbaren Antrag bei der Behörde unterließ.

11. Der einheitlich zu den Verfahren OVG 4 N 37.18, OVG 4 N 38.18 und OVG 4 N 39.18 am 6. August 2018 eingereichte Schriftsatz, der „weitere Erläuterungen“ zur Zulassung der Berufung gegen die drei Urteile enthält, ist mehr als zwei Monate nach deren Zustellungen verspätet und darf mit den neuartigen Rügen nicht mehr vom Senat berücksichtigt werden. Die Zustellungen sind gegen Empfangsbekenntnis des Klägers (VG 5 K 137.18) bzw. mittels Postzustellurkunden (VG 5 K 296.15 und VG 5 K 5.16) jeweils am 16. Mai 2018 erfolgt. Wenn, wie der Kläger ohne Glaubhaftmachung behauptet, die Urteile in den Briefumschlägen zu den Postzustellurkunden vertauscht gewesen seien und sich daraus oder aus anderen Gründen ein Zustellungsfehler ergäbe, wären die Zustellungen nach Maßgabe von § 56 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 189 ZPO gleichwohl am 16. Mai 2018 erfolgt.

12. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

13. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Zuletzt aktualisiert am Juli 19, 2021 von eurogesetze

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