Gericht: VG Berlin 26. Kammer
Entscheidungsdatum: 23.06.2021
Aktenzeichen: 26 K 197.19
ECLI: ECLI:DE:VGBE:2021:0623.26K197.19.00
Dokumenttyp: Urteil
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrags leistet.
Tatbestand
1. Die Beteiligten streiten um einen Widerrufs- und Erstattungsbescheid.
2. Auf Antrag der Klägerin gewährte ihr die beliehene Beklagte mit Zuwendungsbescheid vom 8. Dezember 2014 zum Förderkennzeichen E… für das Projekt „Entwicklung geeigneter Verfahren für eine … “ eine nicht rückzahlbare Zuwendung in Höhe von 40 vom Hundert der zuwendungsfähigen Kosten, höchstens jedoch 140.000 Euro. Dieser Betrag setzte sich aus 81.138 Euro Personalkosten, 15.600 Euro Kosten für projektbezogene FuE-Fremdleistungen und 43.262 Euro übrige Kosten gemäß Nr. 5.3.1 Buchstabe c der ZIM-Richtlinie (das konnten etwa Materialkosten, Abschreibungen auf vorhabensspezifische Anlagen und Geräte, Reisekosten oder Steigerungen von Personaleinzelkosten sein) zusammen. Der Zuwendungsbescheid galt für den Zeitraum vom 12. August 2014 bis zum 9. September 2016 (Bewilligungszeitraum). Dem Bescheid waren die Nebenbestimmungen für Zuwendungen zur Projektförderung auf Kostenbasis (ANBest-P-Kosten) beigefügt und sollten nach Maßgabe der Richtlinie ZIM und den nachstehenden Bestimmungen Bestandteil des Bescheids sein. Für den Nachweis der Verwendung wich der Bescheid von Nr. 7.1 ANBest-P-Kosten ab und ließ Nr. 6.2.6 der Richtlinie ZIM gelten. Diese lautete seinerzeit auszugsweise:
3. „Die Verwendung der Zuwendung ist innerhalb von drei Monaten nach Erfüllung des Zuwendungszwecks, spätestens jedoch drei Monate nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes bzw. Abbruch des Projekts abschließend nachzuweisen (Verwendungsnachweis). Der Verwendungsnachweis besteht aus einem Sachbericht und einem zahlenmäßigen Nachweis. Dazu sind die jeweils aktuellen Formulare 19 zu verwenden und die mit dem Antrag definierten wirtschaftlichen Zielkriterien zu aktualisieren. …“
4. Auch davon teilweise abweichend hieß es in dem Bescheid:
5. „Der Verwendungsnachweis besteht aus dem zahlenmäßigen Nachweis, dem Sachbericht und der Erfolgskontrolle. Für die Erstellung des Verwendungsnachweises ist der Vordruck Verwendungsnachweis unter http… in der aktuellen Fassung zu verwenden.“
6. Die Beklagte der Klägerin zahlte jeweils auf Zahlungsanforderung der Klägerin Beträge aus. Die Zahlungsanforderungen wiesen Summenbeträge für die drei zuwendungsfähigen Kostenarten aus und hatten einen Anhang, in dem die förderbaren Personenstunden für die namentlich aufgeführten Projektmitarbeiter aufgeteilt nach Monaten mit Unterschrift des jeweiligen Mitarbeiters bezeichnet waren.
7. Im Zuge einer Prüfung der Arbeitsverträge bzw. der Gehaltsnachweise und des Lohnjournals anlässlich eines Firmenbesuchs durch die Beklagte am 22. Juli 2016 erließ die Beklagte unter dem 22. November 2016 einen (Teil-) Widerrufs- und Erstattungsbescheid, mit dem sie den Zuwendungsbescheid vom 8. Dezember 2014 mit Wirkung für die Vergangenheit in Höhe von 86.76 5,60 Euro widerrief und eine Erstattungsforderung in Höhe von 68.83 0,70 Euro nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz pro Jahr seit dem 16. Januar 2015 festsetzte. Grund dafür war, dass drei Mitarbeiter in dem Projekt, für die die Klägerin Personenstunden abgerechnet und entsprechende Zahlungen erhalten hatte, nicht Beschäftigte der Klägerin gewesen, sondern von einer verbundenen Aktiengesellschaft ausgeliehen worden seien. Den Widerspruch der Klägerin dagegen wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. März 2017 zurück. Dagegen wandte sich die Klägerin mit ihrer Klage zum Aktenzeichen VG 26 K 449.17. Nach Erlass des hier streitigen Bescheids erklärten die Beteiligten jenes Klageverfahren übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt.
8. Einen Bericht der Klägerin unter dem 9. April 2018 akzeptierte die Beklagte nicht und verwies darauf, dass der Sachbericht unter Benutzung des Formblatts zu erstellen sei und zu allen Gliederungspunkten belastbare und verbindliche Aussagen enthalten müsse. Nach Anhörung erließ die Beklagte unter dem 13. Dezember 2018 einen Widerrufs- und Erstattungsbescheid. Mit ihm widerrief sie den Zuwendungsbescheid vom 8. Dezember 2014 unter Einbeziehung des (Teil-) Widerrufs- und Erstattungsbescheid vom 22. November 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. März 2017, mit Wirkung für die Vergangenheit in vollem Umfang. Die Erstattungsforderung setzte sie in Höhe von weiteren 51.006,30 Euro fest nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz pro Jahr seit dem 16. Januar 2015. Sie stützte den Bescheid auf § 49 Abs. 3 Nr. 1 und 2 VwVfG und darauf, dass die Klägerin keinen Verwendungsnachweis eingereicht hatte. Den ohne Begründung erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. April 2019, zugestellt am 30. April 2019, zurück. Wegen der weiteren Einzelheiten der Bescheide wird auf die von der Klägerin als Anlage K1 und K2 zur Akte gereichten Ablichtungen davon (Bl. 5 bis 10 und 11 bis 19 d. A.) Bezug genommen.
9. Die Klägerin hat am Freitag nach Christi Himmelfahrt, dem 31. Mai 2019, Klage erhoben. Sie macht geltend: Unter dem 30. Juni 2019 habe sie nunmehr den Verwendungsnachweis in der geforderten Form überreicht. Abgesehen davon sei der Beklagten letztlich auch durch den Unternehmensbesuch der Stand der Projektentwicklung als auch die Mittelverwendung umfassend bekannt gewesen. Die Beklagte habe eine neue Ermessensentscheidung in der Sache zu treffen. Ähnlich wie bei Abrissverfügungen sei für die gerichtliche Beurteilung des angegriffenen Bescheids aus Billigkeitsgründen und wegen Nr. 7.7 ANBest-P-Kosten auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Verhandlung abzustellen. Wegen der weiteren Einzelheiten ihres Vorbringens wird auf die Schriftsätze vom 29. Juli 2019 (Bl. 49 d. A.), vom 15. Januar 2021 (Bl. 92 bis 96 d. A.) und vom 21. Juni 2021 (Bl. 119 bis 121 d. A.) verwiesen.
10. Die Klägerin beantragt,
11. den Widerrufs- und Erstattungsbescheid vom 13. Dezember 2018 und den Widerspruchsbescheid vom 25. April 2019 aufzuheben und
12. die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
13. Die Beklagte beantragt,
14. die Klage abzuweisen.
15. Sie verteidigt den angegriffenen Bescheid und hält den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids für den maßgeblichen Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung. Wegen der weiteren Einzelheiten ihres Vorbringens wird auf den Schriftsatz vom 21. August 2019 (Bl. 71 f. d. A.) Bezug genommen.
16. Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 19. Januar 2021 dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
17. Drei Ordner der Beklagten sowie die Streitakte VG 26 K 449.17 haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
18. Die zulässige, insbesondere rechtzeitige Klage, über die infolge des Beschlusses der Kammer vom 19. Januar 2021 gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Einzelrichter zu entscheiden hat, ist unbegründet, weil der Bescheid rechtmäßig ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
19. 1. Der streitige Widerruf ist etwa an § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwVfG zu messen. Danach kann ein rechtmäßiger Verwaltungsakt, der eine einmalige Geldleistung zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks gewährt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise auch mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden, wenn mit dem Verwaltungsakt eine Auflage verbunden ist und der Begünstigte diese nicht oder nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist erfüllt hat. Es bedarf keiner näheren Begründung, dass der Zuwendungsbescheid vom 8. Dezember 2014 ein diese Voraussetzungen erfüllender Bescheid ist und er mit den Regelungen zur Nachweisführung Auflagen verband, die die Klägerin bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids nicht erfüllte.
20. Das wäre aber unerheblich, wenn mit der Klägerin auf den aktuellen Zeitpunkt abzustellen wäre, wobei unterstellt sein kann, dass der mit Schriftsatz vom 29. Juli 2019 vorgelegte Verwendungsnachweis formell und inhaltlich der Auflage zum Verwendungsnachweis genügt. Das ist jedoch nicht der Fall.
21. Der Zeitpunkt, auf den bei der verwaltungsgerichtlichen Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage abzustellen ist, richtet sich in erster Linie nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 4. Dezember 2020 – BVerwG 3 C 5.20 -, Rn. 10). Der Widerrufstatbestand des § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwVfG enthält mit den Worten „nicht innerhalb einer ihm gesetzten Frist“ eine eigene zeitliche Bestimmung. Es ist schwerlich vorstellbar, dass die Antwort auf die Frage, ob die Auflage fristgerecht erfüllt wurde, in späterer Zeit Wandlungen unterliegen kann. Allerdings erschöpft sich die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Widerrufs nicht darin, die tatbestandlichen Voraussetzung für ihn festzustellen. Bedenkt man, dass der Widerruf in das Ermessen der Behörde gestellt ist und das Gericht gegebenenfalls auch die Ermessensbetätigung zu überprüfen hat (§ 114 Satz 1 VwGO), dann lässt sich damit begründen, dass die Rechtmäßigkeit eines Widerrufs nach § 49 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwVfG nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung zu beurteilen ist (so etwa auch Thüringer Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 17. Dezember 2015 – 3 KO 400/12 -, ThürVBl. 2015, 54 [55]; Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 24. März 2009 – 2 L 181/07 –, Juris Rn. 5, und Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 13. November 2003 – 1 B 576/02 – Juris Rn. 54). Hielte man das nicht für eine tragfähige Argumentation mit dem einschlägigen materiellen Recht, dann ist aber in diesem Rahmen tendenziell davon auszugehen, dass es bei der Anfechtung eines belastenden Verwaltungsaktes grundsätzlich auf die Sachlage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, bei einem mit der Verpflichtungsklage geltend gemachten Leistungsanspruch auf diejenigen Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsacheninstanz ankommt (vgl. die im bezeichneten Urteil vom 4. Dezember 2020 begonnene Verweisungskette über das Urteil vom 15. November 2007 – BVerwG 1 C 45.06 -, BVerwGE 130,20 = NVwZ 2008, 434, zum Urteil vom 3. November 1987 – BVerwG 9 C 254.86 -, BVerwGE 78, 243 [244] = NVwZ 1988, 260).
22. Eine davon abweichende Tendenz oder eine Ausnahme sind hier nicht begründbar. Keine der Andeutungen der Klägerin überzeugt.
23. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG bestätigt nur, dass es auf das Fachrecht ankommt. Aus ihm, der hier nicht einschlägig ist, lässt sich für den maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung eines zuwendungsrechtlichen Widerrufsbescheids nichts ableiten.
24. Das gilt auch für baurechtliche Abrissverfügungen, bei denen nicht nur Billigkeit, sondern vor allem das hier nicht einschlägige Grundrecht des Art. 14 GG von Bedeutung sein dürfte.
25. Einen Dauerverwaltungsakt (dazu das angeführte Urteil vom 4. Dezember 2020, Rn. 11) stellt der Widerrufsbescheid nicht dar, weil er sich in einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage, nämlich der Beseitigung des Zuwendungsbescheids vom 8. Dezember 2014 erschöpft.
26. Im Ansatz verfehlt ist die Argumentation der Klägerin mit Regelungen von Richtlinien (nicht im Sinne von Art. 288 AEUV). Denn dabei handelt es sich nicht um Fachrecht, sondern um Verwaltungsvorschriften. Selbst wenn man das anders sehen könnte, ließe sich nicht mit der Klägerin aus Nr. 7.7 ANBest-P-Kosten auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Verhandlung abstellen. Die Regelung lautet:
27. „Erbringt der Zuwendungsempfänger den Verwendungsnachweis nicht auf der Grundlage eines geordneten Rechnungswesens im Sinne der Nr. 2 LSP (= Leitsätze für die Preisermittlung aufgrund von Selbstkosten), so wird die Zuwendung nachträglich nach den von dem Zuwendungsempfänger nachzuweisenden zuwendungsfähigen Ausgaben bemessen, soweit sie den Bewilligungszeitraum von dem Vorhaben als wirtschaftlich angemessen zuzurechnen sind.“
28. Sie setzt damit voraus, dass der Zuwendungsempfänger überhaupt und innerhalb der Frist der Nr. 7.1 einen Verwendungsnachweis vorlegte. Ob in einem solchen Fall nachträglich vorgelegte Erläuterungen oder Nachweise zu berücksichtigen wären, kann hier dahinstehen. Denn die Klägerin reichte innerhalb der ihr dafür gesetzten Frist keinen Verwendungsnachweis ein.
29. Die Ermessensbetätigung der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Jedenfalls bei Mängeln des Verwendungsnachweises dürfte es sich der Behörde zumindest aufdrängen, sich dafür zu entscheiden, den Zuwendungsbescheid zu widerrufen (Einschreitens- oder Entschließungsermessen). Aber auch die Ermessensbetätigung im Übrigen (Auswahlermessen), den Zuwendungsbescheid ganz für die Vergangenheit zu widerrufen, ist nicht zu beanstanden, wenngleich der Beklagten im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids bekannt war, dass die Klägerin ernstliche Arbeiten am Projekt unternommen hatte. Die nicht überzeugende Argumentation der Klägerin läuft wie im Verfahren VG 26 K 449.17 darauf hinaus, dass der Zweck die Mittel heilige; wenn Mittel für den Zuwendungszweck verwendet werden, müsse das das tatbestandlich eröffnete Widerrufsermessen begrenzen, auch wenn gegen Auflagen verstoßen worden sei. Ein Zuwendungsgeber wird wohl rechtlich nicht gehindert sein, so zu verfahren. Das Gericht hält es aber für unvertretbar, dass er von Rechts wegen dazu verpflichtet, seine dies missachtende Ermessensbetätigung folglich fehlerhaft ist. Steht – wie hier – das Auflegen eines Förderprogramms im recht freien, rechtlich nur durch die §§ 23, 44 BHO gebundenen Ermessen einer Behörde, dann darf sie zweckgemäße Regelungen dazu treffen und – unter Wahrung etwa auch des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – ihre Einhaltung erwarten und durchsetzen. Zu den gesetzlich vorgegebenen Regelungen gehört es zu bestimmen, wie die zweckentsprechende Verwendung der Zuwendung nachzuweisen ist (§ 44 Abs. 1 Satz 2 BHO). Schon das hebt die hier nicht erfüllte Auflage zum Verwendungsnachweis heraus, weil der Gesetzgeber sich nicht damit begnügte vorzugeben, dass nur zu bestimmen sei, dass die zweckentsprechende Verwendung der Zuwendung nachzuweisen ist, sondern weitergehend vorgibt zu bestimmen, wie das zu geschehen hat. Bereits das steht der Vorstellung der Klägerin entgegen, die Nichterfüllung der Auflage zum Verwendungsnachweis könne nicht zum Widerruf führen, wenn der Zuwendungsgeber auf andere Weise Kenntnis über die Mittelverwendung erlangen könne oder gar erlangt habe. So wird sogar vertreten, dass die Entscheidung des Subventionsgebers, erstmals im Widerspruchsverfahren zum Führen des Verwendungsnachweises nachgereichte Belege regelmäßig nicht mehr zu berücksichtigen, sich im Rahmen des eingeräumten Widerrufsermessens halte (vgl. Thüringer Oberverwaltungsgericht, a.a.O.). Erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegte Rechnungen sollen nicht mehr zu berücksichtigen sein (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 5. Februar 1987 – 5 S 2954/86 -, NVwZ 1987, 520). Hat der Zuwendungsempfänger die ihm im Bewilligungsbescheid auferlegte und von ihm anerkannte Verpflichtung zur Vorlage eines ordnungsgemäßen Verwendungsnachweises nicht fristgerecht erfüllt, soll es nach dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg dem Sinn des in der Auflage festgelegten Verfahrens entsprechen, dass der Zuwendungsgeber die Zuwendung mit Wirkung für die Vergangenheit widerruft, um die ihm begrenzt zur Verfügung stehenden Mittel zurückfordern zu können (so Urteil vom 15. Februar 2018 – OVG 6 B 5.16 -; in diesem Sinn wohl auch Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 21. August 2015 – 1 A 358/14 -, Juris für Personalkosten zur Zweckverfolgung).
30. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mag es gebieten, von einem Widerruf abzusehen, wenn ein Verwendungsnachweis für eine staatliche Zuwendung nicht fristgerecht erbracht wurde, obwohl die Mittel tatsächlich zweckentsprechend verwendet wurden (so Müller/ Richter/Ziekow, Handbuch Zuwendungsrecht, 2017, Seite 248 Rn. 67 zu Fn. 2328). Dem wird man folgen können, wenn die zweckentsprechende Mittelverwendung für den Zuwendungsgeber feststeht. So liegt es hier aber nicht, weil der Beklagten im maßgeblichen Zeitpunkt dazu keine Daten vorlagen.
31. Die Klägerin sieht einen Ermessensfehler jedenfalls darin, dass die Beklagte ihr nicht zumindest einen Teilbetrag beließ, weil ihr mit den Zahlungsanforderungen und durch den Unternehmensbesuch Daten bekannt wurden, die die zweckgemäße Mittelverwendung nachwiesen. Dem folgt das Gericht nicht. Die Zahlungsanforderungen entsprechen jedenfalls in Bezug auf den Zuschlag für übrigen Kosten und den projektbezogenen Aufträgen an Dritte keinem prüffähigen Verwendungsnachweis, selbst wenn man berücksichtigt, dass der geforderte Verwendungsnachweis von der Klägerin zunächst ohne Belege, die eine Prüfung überhaupt erst ermöglichen, vorzulegen war. Es mag der Beklagten freistehen, sich auf eine stichprobenartige Überprüfung von Verwendungsnachweisen zu beschränken oder sich mit unbelegten, ihr plausibel erscheinenden Verwendungsnachweisen zu begnügen. Doch ist allein die Kenntnis eines derartigen Verwendungsnachweises nicht gleichbedeutend mit dem Wissen um die zweckgerechte Verwendung von Mitteln, auf die deshalb ein Widerruf nicht bezogen werden dürfte. Der Firmenbesuch am 22. Juli 2017 führte auf kein Wissen über die Verwendung einzelner Beträge, weil er darauf nicht gerichtet war.
32. Ernstlicher zu erwägen ist, ob es hier in Bezug auf die Personalkosten anders liegt, weil die Beklagte bei dem Firmenbesuch Arbeitsverträge und Gehaltsnachweise prüfte. Das Gericht verneint auch das, weil diese Prüfung selektiv ausgerichtet war. Ihr Ziel war nicht festzustellen, ob alle angesetzten Personalkosten zweckgerecht verursacht waren. Vielmehr ging es nach einem Anfangshinweis darum festzustellen, in welchem Umfang Personalkosten für Personen abgerechnet worden waren, die nicht bei der Klägerin beschäftigt waren. Anschaulich schilderte ein auch in der mündlichen Verhandlung für die Beklagte aufgetretener Mitarbeiter in einem Aktenvermerk vom 26. Oktober 2016 (VV Bl. 282), dass er nach Abschluss des „ausgesprochen freundlich und harmonisch“ verlaufenen Unternehmensrundgangs den Geschäftsführer der Klägerin gebeten habe, ihm die zur weiteren betriebswirtschaftlichen Prüfung erforderlichen Unterlagen zum Personal zu überreichen, worauf er Rechnungen erhielt, die belegten, dass drei Projektmitarbeiter bei einem verbundenen Unternehmen ausgeliehen worden seien. Der Verfasser gab an, bisher keinen Fall erlebt zu haben, in dem sich am Besuchstag oder hinterher herausgestellt habe, dass die stichprobenartig geprüften Mitarbeiter nicht beim Zuwendungsempfänger beschäftigt gewesen seien.
33. Erfolglos beruft sich die Klägerin auf die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG (über § 49 Abs. 3 Satz 2 VwVfG) und meint, mit Ablauf der Frist für die Vorlage des Verwendungsnachweises im Dezember 2016 habe die Jahresfrist begonnen. Das verkürzt die nötigen Tatsachen, welche den Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsakts rechtfertigen, auf den Auflagenverstoß. Es übergeht, dass es für die Rechtmäßigkeit des Widerrufs weiterer Umstände bedarf, die im Rahmen der Ermessensbetätigung zu berücksichtigen sind. Erst wenn die Behörde auf der Grundlage aller entscheidungserheblichen Tatsachen den zutreffenden rechtlichen Schluss gezogen hat, dass ihr die Aufhebungsbefugnis zusteht, muss sie innerhalb eines Jahres entscheiden, ob sie davon Gebrauch macht (vgl. Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. August 2019 – 15 A 2792/18 -, NVwZ-RR 2020, 333). Auch mit Blick auf § 31 Abs. 7 VwVfG dürfte es ausgeschlossen sein zu vertreten, dass ein Zuwendungsgeber gehindert sein sollte, sich nach Ablauf der Frist zur Vorlage eines Verwendungsnachweises zunächst darum zu bemühen, diesen zu erhalten, wie es die Beklagte etwa im April 2018 tat. Erst nachdem das keinen Erfolg erbrachte, hörte die Beklagte – wie geboten und für den Fristbeginn nach § 48 Abs. 4 VwVfG erheblich – die Klägerin im Juni 2018 zu ihrer Widerrufsabsicht an, die sie innerhalb der Jahresfrist in die Tat umsetzte.
34. 2. Der Erstattungsbescheid findet seine Grundlage in § 49a Abs. 1 VwVfG. Infolge der Einbeziehung des (Teil-) Erstattungsbescheids vom 22. November 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. März 2017 in den hier angegriffenen Bescheid ist die Erstattungsforderung – wie der Klägerin in der mündlichen Verhandlung fraglos gewesen ist – auf zusammen (86.765,60 + 51.006,30 =) 137.771,90 Euro gerichtet. Durch die vollständige und rückwirkende Beseitigung des Zuwendungsbescheids ist die Rechtsgrundlage für die in der Höhe nicht streitigen Zahlungen entfallen. Die erbrachten Leistungen (137.771,90 Euro) sind zu erstatten.
35. 3. Die Zinsforderung gründet auf § 49a Abs. 3 Satz 1 VwVfG. Es ist unter den hier gegebenen Umständen nicht zu beanstanden, dass die Beklagte nicht erwog, von der Geltendmachung des Zinsanspruchs gemäß § 49a Abs. 3 Satz 2 VwVfG abzusehen.
—
36. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, womit es für eine Entscheidung über die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren an einer Grundlage fehlt. Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit entspricht § 167 VwGO und den §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.
37. BESCHLUSS
Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß §§ 39 ff., 52 f. des Gerichtskostengesetzes auf
58.548 Euro
festgesetzt.
Zuletzt aktualisiert am Juli 19, 2021 von eurogesetze
Schreibe einen Kommentar