Gericht: VG Berlin 35. Kammer
Entscheidungsdatum: 24.06.2021
Aktenzeichen: 35 L 127/21
ECLI: ECLI:DE:VGBE:2021:0624.35L127.21.00
Dokumenttyp: Beschluss
Verfahrensgang …
Tenor
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
1. Die am 2… geborene Antragstellerin begehrt im Wesentlichen die Aufnahme in die Jahrgangsstufe 1 eines Zuges der Staatlichen Europa-Schule Berlin
– SESB – an der J.-M. Grundschule mit den Partnersprachen Deutsch und Spanisch zum kommenden Schuljahr 2021/2022.
2. Ihr Antrag vom 10. Mai 2021,
3. den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sie zum Schuljahr 2021/2022 vorläufig in die Klassenstufe 1 der J.-M. Grundschule, Staatliche Europaschule Berlin – SESB –, aufzunehmen,
4. hat keinen Erfolg.
5. Der Antrag ist nach § 123 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – zulässig, aber nicht begründet.
6. Wegen des im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich zu beachtenden Verbots, die Entscheidung in einem Klageverfahren in der Hauptsache vorwegzunehmen, käme der Erlass der begehrten, dem (möglichen) Prozessergebnis in der Hauptsache weitgehend vorgreifenden einstweiligen Anordnung nur dann in Betracht, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten wäre, dass eine Klage mit dem Ziel, die Antragstellerin zum Schuljahr 2021/2022 als Schulanfängerin in die J.-M. Grundschule – SESB – aufzunehmen, Erfolg hätte (Anordnungsanspruch) und dass ihr durch die Verweisung auf das Hauptsacheverfahren unzumutbare, irreparable Nachteile entstünden (Anordnungsgrund). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
7. Nach der im Eilverfahren gebotenen und nur möglichen summarischen Prüfung hat die Antragstellerin gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 der Zivilprozessordnung – ZPO – bereits nicht glaubhaft gemacht, dass sie über einen Anordnungsanspruch verfügt. Der derzeit noch nicht bestandskräftige Bescheid des Antragsgegners vom 4. März 2021, mit dem eine Aufnahme der Antragstellerin als Schulanfängerin an der J.-M. Grundschule – SESB – mangels Mindesteignung abgelehnt wird, erscheint als rechtmäßig und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzend (§ 113 Abs. 5 VwGO).
8. 1. Rechtliche Grundlage für das Begehren der Antragstellerin ist das Schulgesetz für das Land Berlin – SchulG – in Verbindung mit der gemäß § 18 Abs. 3 SchulG erlassenen Verordnung über die Aufnahme in Schulen besonderer pädagogischer Prägung – AufnahmeVO-SbP –.
9. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 Alt. 2 AufnahmeVO-SbP ist die J.-M. Grundschule eine Staatliche Europa-Schule Berlin – SESB – mit den Partnersprachen Deutsch und Spanisch. Nach § 3 Abs. 4 Sätze 1 und 10 AufnahmeVO-SbP nimmt die J.-M. Grundschule im Rahmen der Einschulung ausschließlich Kinder auf, die Deutsch oder Spanisch altersgemäß wie eine Muttersprache beherrschen sowie bilinguale Kinder, die eine Partnersprache auf muttersprachlichem Niveau und die andere Sprache auf mindestens annähernd muttersprachlichem Niveau beherrschen (Mindesteignung). Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AufnahmeVO-SbP ist auch bei freien Kapazitäten die Eignung der Schülerinnen und Schüler für das spezifische Angebot der jeweiligen Schule erforderlich.
10. § 3 Abs. 4 Satz 3 AufnahmeVO-SbP regelt, dass die für die Aufnahme erforderlichen sprachlichen Kompetenzen in einer von der Schulaufsichtsbehörde einheitlich genehmigten Überprüfung nachzuweisen sind. Maßgeblich sind die zum Zeitpunkt der Überprüfung festgestellten Sprachkenntnisse (Satz 4). Die Überprüfung der muttersprachlichen Kenntnisse erfolgt durch die SESB (Satz 5). Je nachdem, welche Sprache als Muttersprache angegeben wird, erfolgt die Überprüfung in einem in Deutsch oder in der nichtdeutschen Partnersprache geführten Test; bei Kindern, die als bilingual angemeldet wurden, erfolgt sie in beiden Unterrichtssprachen (Satz 6). Das Testergebnis eines Standorts gilt für alle Standorte derselben Sprachkombination (Satz 7). Die Wiederholung des Tests ist unzulässig (Satz 8). Muttersprachliche Kenntnisse hat, wer im Test mindestens 80 Prozent der möglichen Punkte erreicht, annähernd muttersprachliche Kenntnisse hat, wer mindestens 60 Prozent der möglichen Punkte erreicht (Satz 9).
11. 2. Hiervon ausgehend hat die Antragstellerin keinen Anspruch darauf, im kommenden Schuljahr (vorläufig) in die Jahrgangsstufe 1 der J.-M. Grundschule – SESB – aufgenommen zu werden.
12. Ob ein solcher Anspruch besteht, ist schon unabhängig von der im vorliegenden Verfahren streitigen Mindesteignung der Antragstellerin zweifelhaft. Üblicherweise – und so auch in diesem Jahr – bewerben sich mehr geeignete Schulanfängerinnen und
-anfänger um eine Aufnahme in die J.-M. Grundschule – SESB –, als Plätze zur Verfügung stehen. Bei einer solchen Konstellation besteht in der Regel selbst bei einer Erfüllung der Mindesteignung noch kein Anspruch darauf, in die betreffende Schule aufgenommen zu werden, sondern allein darauf, im Verfahren über die Vergabe von Schulplätzen weiter berücksichtigt zu werden (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 12. Juni 2020 – VG 35 L 135/20 -, juris Rn. 13).
13. Unabhängig davon steht sowohl einer Aufnahme der Antragstellerin auf die genannte Schule als auch ihrer etwaigen weiteren Berücksichtigung im Verfahren über die Vergabe der Schulplätze entgegen, dass sie nicht über die für die Aufnahme in die J.-M. Grundschule – SESB – erforderliche Mindesteignung verfügt.
14. Die Überprüfung der Sprachkompetenzen der Antragstellerin erfolgte am 2. Dezember 2020 in der deutschen Sprache, nachdem ihre Eltern bei der Anmeldung am 6. Oktober 2020 angegeben hatten, dass die Muttersprache der Antragstellerin Deutsch sei (Bl. 296 des Verwaltungsvorgangs – VV –). Bei der Sprachprüfung erzielte die Antragstellerin lediglich 51 von 100 möglichen Punkten. Sie erreichte somit nicht mindestens 80 Prozent der möglichen Punkte. Muttersprachliche Deutschkenntnisse im Sinne von § 3 Abs. 4 Satz 1 AufnahmeVO-SbP liegen nicht vor.
15. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin sind keine Fehler bei der Durchführung, Auswertung oder Bewertung der für ihre Aufnahme auf die J.-M. Grundschule – SESB – erforderlichen sprachlichen Kompetenzen zu erkennen, aufgrund derer ein Anspruch auf Aufnahme in die genannte Schule bzw. – als Minus – auf weitere Berücksichtigung im Verfahren über die Schulplatzvergabe oder auf Wiederholung oder Neubewertung des Sprachtests bestehen könnte.
16. a) Der Sprachtest ist entgegen der Ansicht der Antragstellerin gemäß § 3 Abs. 4 Satz 3 AufnahmeVO-SbP von der Schulaufsichtsbehörde genehmigt worden und ist zur Überprüfung der nach § 3 Abs. 4 Sätze 1, 10 und 11 AufnahmeVO-SbP erforderlichen Sprachkompetenzen geeignet.
17. Ausweislich des Leitfadens der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie vom August 2020 zur Sprachstandserhebung „Spiel mit mir!“, der neben den Auswertungsbögen zu den verschiedenen Aufgaben des Sprachtests auch detaillierte Erläuterungen zur Durchführung und Bewertung des Tests sowie organisatorische Vorgaben und Materialen zu den verschiedenen Testversionen enthält, handelt es sich bei der genannten Sprachstandsüberprüfung um eine adaptierte Version des Vorgängertests „Bärenstark“. Der neue Test wurde von einer Arbeitsgruppe der SESB im Auftrag der Senatsverwaltung entwickelt und von dieser genehmigt; die erforderlichen Materialien zur Durchführung der Sprachstandserhebung wurden zu einem Leitfaden zusammengestellt (S. 5 f. des Leitfadens).
18. Es bestehen keine Zweifel an der inhaltlichen Geeignetheit des vom Antragsgegner verwendeten Tests „Spiel mit mir!“. Solche werden von der Antragstellerin zwar behauptet, aber nicht ausreichend substantiiert dargelegt, geschweige denn glaubhaft gemacht. Es spricht nichts für die Behauptung, dass der Test nicht kindgerecht und nicht ausreichend erklärt worden sei und damit zu hohe Anforderungen an die sprachliche Befähigung eines Kindes im Vorschulalter stelle oder eine spezielle Vorbereitung der Kinder erfordere. Laut Einleitung des Leitfadens soll der Test so konzipiert sein, dass die Kinder in vier unterschiedlichen Situationen so viel wie möglich von ihrem eigenen Sprachkönnen in ihrer Erstsprache oder bei bilingualen Kindern in beiden Sprachen zeigen können. Dies soll in kommunikativen Situationen durch das Agieren mit einem Medium (einem Stofftier), durch Erzählbilder und Bildkarten geschehen. Die Impulse sollen entweder mit einem Stofftier, mit dem Kinder gerne handeln, oder mit Bildern, die kindgerecht gezeichnet sind und Situationen abbilden, die der Erfahrungswelt der Kinder entsprechen, verbunden sein. Anders als die Antragstellerin meint, ist davon auszugehen, dass die den Bewerberkindern im Rahmen der Sprachstandsüberprüfung abverlangten spielerischen Aktivitäten und Äußerungen altersangemessen und auch ohne spezielle Vorbereitung beherrschbar sind. Zudem sind sie durch ihren spielerischen Charakter gerade darauf ausgelegt, auch schüchternere Kinder zum Mitmachen zu animieren und keine Überforderung durch die Testsituation entstehen zu lassen. Die Konzeption des Tests unterscheidet sich nicht grundlegend von seiner Vorgängerversion, dem Test „Bärenstark“, der bereits mehrfach Gegenstand gerichtlicher Überprüfung war und mit seinen vier Aufgabenbereichen und seinem differenzierten Bewertungssystem als zur Überprüfung der sprachlichen Kompetenzen geeignet anzusehen ist (vgl. VG Berlin, Beschlüsse vom 13. August 2018 – VG 9 L 421.18 -, BA S. 5 und vom 4. Juni 2020 – VG 35 L 141/20 -, juris Rn. 21 f. m.w.N.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. August 2020 – OVG 3 S 51/20 -, juris Rn. 4 ff.). Anhaltspunkte dafür, dass der Test „Spiel mit mir!“ keine hinreichende Eignungsprognose ermöglichen würde und nicht unter Berücksichtigung pädagogischer und sprachwissenschaftlicher Erkenntnisse sowie der für einen bilingualen Unterricht erforderlichen sprachlichen Voraussetzungen entwickelt worden wäre, gibt es nicht (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 20. Juli 2020 – VG 35 L 269/20 -, juris Rn. 19 ff.; vom 23. Juli 2020 – VG 35 L 276/20 -, juris Rn. 19 ff.). Insofern kann die Antragstellerin auch nicht mit ihrem sinngemäßen Argument durchdringen, dass eher ihre Kita als die genannte Schule zur Beurteilung ihrer sprachlichen Kompetenzen in der Lage sei.
19. b) Es lassen sich entgegen der Ansicht der Antragstellerin keine Verfahrensfehler hinsichtlich der Personen erkennen, die den Sprachtest durchgeführt haben. Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie vom August 2020 empfiehlt in ihrem oben genannten Leitfaden laut „7.1 Organisatorisches für die Schulleitung“ (S. 15), die Sprachtests von Expertenteams, bestehend aus zwei Personen, durchführen zu lassen. Für ein sicheres und einheitliches Vorgehen sei die jährliche Teilnahme an der entsprechenden Fortbildung zur Durchführung der Sprachstandserhebung verpflichtend. Diese dienten als Multiplikator/-innen vor Ort für die anderen Personen der Sprachstandserhebung.
20. Entgegen dem Vortrag der Antragstellerin ergibt sich aus den Angaben im Sprachtest, welche prüfenden Personen den Sprachtest durchgeführt haben: K… und R… (Bl. 304 VV). R… ist laut Mitteilung des Schulleiters der J.-M. Grundschule – SESB – vom 17. Juni 2021 (E-Mail an Frau P…vom Rechtsamt C.-W., zur Streitakte gereicht) der Konkretor und Moderator der Schule und für die Fortbildung der Kolleg:innen zuständig. Er fungiert also als Multiplikator vor Ort. Die Fortbildungen haben dabei am 4. März und 19. April 2019 mit dem Team und allen SESB-Standorten stattgefunden; des Weiteren fanden Kalibrierungssitzungen zwischen den drei spanisch-deutschen SESB- Standorten im Mai 2019, an mehreren Webkonferenzen im Jahr 2020 und am 10. Juni 2021 statt. Das Thema Sprachstandserhebung ist zudem in allen, wohl monatlich stattfindenden, Moderatorinnen-Sitzungen Thema gewesen. Herr H…wurde also im Rahmen sowohl der standort-übergreifenden Fortbildungen als auch der deutsch-spanischen Kalibrierungssitzungen geschult und verfügt zudem über langjährige Erfahrung mit der Durchführung von Sprachstandserhebungen. Dieses Wissen konnte er sodann als Multiplikator an Herrn A…weitergeben. Zweifel an der Eignung und Befähigung der Tester bestehen danach nicht.
21. c) Des Weiteren lassen sich keine Verfahrensfehler in Bezug auf die Anmeldung der Antragstellerin und das hierbei geführte Beratungsgespräch erkennen. Nach „4. Anmeldung an der SESB“ des oben genannten Leitfadens (S. 9) müssen die Eltern im Beratungsgespräch beim Anmelden eines Kindes an einem SESB-Standort ausführlich darüber informiert werden, dass es zwei Möglichkeiten für die Sprachstandserhebung gibt, zwischen denen sie entscheiden müssen: die monolinguale und die bilinguale Überprüfung des Sprachstandes. Dass ein solches Beratungsgespräch stattgefunden hat, ergibt sich ausweislich der von den Eltern der Antragstellerin am 5. Oktober 2020 bei der Anmeldung unterschriebenen Einverständniserklärung (Bl. 295 VV). Dort sind ausführliche Informationen über die Aufnahmemodalitäten erhalten. Des Weiteren findet sich ebenfalls Informationen darüber, dass vor der Einschulung Sprachtests durchgeführt werden, auf der Website der Schule (https://joan-miro-grundschule.de/schulzweige/sesb/). Dass der Schule weitergehende Informationspflichten zukämen – insbesondere zu einer etwaigen spezifischen Vorbereitung der Kinder auf den Sprachtest, wie die Antragstellin rügt (welche nach der spielerischen Konzeption des Sprachtests indes nicht erforderlich ist, vgl. oben) –, ist weder der AufnahmeVO-SbP noch dem oben genannten Leitfaden der Senatsverwaltung zu entnehmen.
22. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Wertfestsetzung folgt aus §§ 39 ff., 52 f. des Gerichtskostengesetzes.
Zuletzt aktualisiert am Juli 19, 2021 von eurogesetze
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