Gericht: LArbG Berlin-Brandenburg 10. Kammer
Entscheidungsdatum: 20.05.2021
Aktenzeichen: 10 Sa 1667/20
ECLI: ECLI:DE:LAGBEBB:2021:0520.10SA1667.20.00
Dokumenttyp: Urteil
Außerordentliche Kündigung – Kündigungserklärungsfrist – Darlegungslast
Leitsatz
1. Der Kündigungsberechtigte muss zur Einhaltung der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB die Umstände schildern, aus denen sich ergibt, wann und wodurch er von den maßgebenden Tatsachen erfahren hat.(Rn.28)
2. Eine annähernde Bezifferung eines Anspruchs ist für dessen Geltendmachung entbehrlich, wenn die andere Seite genau darüber im Bilde ist, was verlangt wird.(Rn.37)
Verfahrensgang
vorgehend ArbG Berlin, 3. Dezember 2020, 41 Ca 3130/20, Urteil
Tenor
I.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 3. Dezember 2020 – 41 Ca 3130/20 wird zurückgewiesen.
II.
Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.
III.
Der Gebührenwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.959,32 EUR festgesetzt.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1. Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über die (Un-)Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung vom 2. März 2020 sowie einen Urlaubsabgeltungsanspruch.
2. Der Kläger ist 47 Jahre alt (geb. …. 1974) und war seit dem 1. März 2019 bei der Beklagten, einem Zeitarbeitsunternehmen, als Servicehilfskraft beschäftigt. In dem unter dem 26. Februar 2019 abgeschlossenen Formular-Arbeitsvertrag haben die Parteien unter anderem in § 10 unter der Überschrift „Tarifvertrag und Vertragsbestandteile“ vereinbart:
3. Es gelten die zwischen dem Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen e. V. (BAP / DGB) und den Mitgliedsgewerkschaften des DGB geschlossenen Tarifverträge in der jeweils gültigen bzw. nachwirkenden Fassung. Für das Vertragsverhältnis gilt im Übrigen die Allgemeine Richtlinie für Zeitpersonal des Arbeitgebers in der jeweils gültigen Fassung.
4. In § 12 haben die Parteien unter der Überschrift „Ausschlussfristen“ insoweit wortgleich mit der tariflichen Regelung vereinbart:
5. Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen gemäß § 16 MTV BAP / DGB, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht werden.
6. Lehnt die Gegenpartei die Ansprüche schriftlich ab, sind die Ansprüche innerhalb einer weiteren Ausschlussfrist von drei Monaten ab Zugang der schriftlichen Ablehnung gerichtlich geltend zu machen. Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Fristen geltend gemacht werden, sind ausgeschlossen.
7. Weiter haben die Parteien im Arbeitsvertrag eine Vergütung von 9,49 EUR pro Stunde und eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 35 Stunden vereinbart. Nach den von der Beklagten erstellten Lohnabrechnungen erhielt der Kläger für den Monat Dezember 2019 eine Bruttovergütung von 1.998,44 EUR, für Januar 2020 von 2.483,63 EUR und für Februar 2020 von 2.089,93 EUR, mithin insgesamt 6.572 EUR entsprechend durchschnittlich monatlich 2.190,67 EUR brutto bzw. arbeitstäglich 101,11 EUR brutto.
8. In der der Beklagten am 16. März 2020 zugestellten Klageschrift hat die den Kläger vertretende DGB Rechtsschutz GmbH ausgeführt:
9. Wir machen hiermit die klägerischen Entgeltansprüche auch für den Fall des Annahmeverzuges geltend. Dies bezieht sich auf das entgangene Entgelt sowie sämtliche sonstigen Leistungen wie Urlaub, Urlaubsentgelt, Urlaubsabgeltung, Urlaubsgeld und vermögenswirksame Leistungen.
10. Im Übrigen soll unverzüglich der für das laufende Urlaubsjahr zustehende Urlaubsanspruch bewilligt und zeitlich festgesetzt werden.
11. Der Kläger hat mit Schreiben seiner damaligen Gewerkschaft vom 10. Februar 2020 Vergütungsansprüche gegenüber der Beklagten geltend gemacht.
12. Der Kläger war am 12. Januar 2020 als Reinigungskraft in einem Restaurant eingesetzt. Seine Arbeitszeit war von 0:00 Uhr bis 8:30 Uhr. Ausweislich des diesbezüglichen Stundenzettels hatte der Kläger diese Zeit auch eingetragen. Unstreitig hat der Kläger an diesem Tag aber spätestens um 7:00 Uhr die Arbeit beendet. Bei einer Kontrolle des mit der Qualitätssicherung beauftragten Herrn B stellte dieser diesen Umstand fest. Er fertigte ein Foto des Stundenzettels und „im Nachgang über die am 12.01.2020 durchgeführte Qualitätskontrolle einen Bericht“. Diesen Bericht hat die Beklagte trotz mehrfacher Aufforderung des Klägers in diesem Rechtsstreit nicht vorgelegt. Dieser enthalte datenschutzrelevante personenbezogene Daten über andere Mitarbeiter*innen der Beklagten und auch des Kunden.
13. Mit einer der Beklagten am 7. September 2020 zugestellten Klageerweiterung vom 31. August 2020 hat der Kläger Urlaubsabgeltung in Höhe von 926,17 EUR brutto für 5 nicht gewährte Urlaubstage aus dem Jahre 2019 und 4,16 nicht gewährte Urlaubstage aus dem Jahre 2020 verlangt.
14. Der Kläger sieht keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung und meint, dass die Kündigung als Reaktion auf die Geltendmachung seiner Vergütungsansprüche erfolgt sei. Der Mitarbeiter und spätere Vorgesetzte des Klägers Herr B habe den Kläger am 1. März 2020 auf dem Mobiltelefon angerufen und mitgeteilt, dass er die Kündigung erhalten werde, wenn er weiter die Lohnansprüche geltend mache. Dabei habe er auf das Schreiben der Gewerkschaft Bezug genommen. Seine beiden Kollegen, die am 12. Januar 2020 ebenfalls vor dem dokumentierten Ende der Arbeitszeit gegangen seien, seien nicht gekündigt worden. Auch habe Herr B im Februar 2020 in seiner Funktion als Vorgesetzter mitgeteilt, dass der Kläger gehen könne, wenn er mit der Arbeit fertig sei. Mit dem Auftraggeber sei vereinbart, dass weiter 8:30 Uhr im Stundenzettel einzutragen sei.
15. Nach dem – streitigen – Vortrag der Beklagten legte Herr B den Bericht der zuständigen Mitarbeiterin Frau C – während ihrer urlaubsbedingten Abwesenheit – auf den Schreibtisch, dort in ein Ablagesystem. Nach der urlaubsbedingten Rückkehr habe Frau C den Bericht jedoch nicht sofort, sondern erst Ende Februar 2020 durch Zufall gefunden, weil Herr B diesen versehentlich nicht in den „Posteingang“, sondern in die „Ablage“ von Frau C gelegt habe. Dieser „Ordner“ bzw. dieses Fach werde nur unregelmäßig geleert und danach eigentlich geschreddert. Frau C habe nach Kenntnis des Sachverhaltes mit dem Geschäftsführer der Beklagten den Sachverhalt besprochen, die dann die Entscheidung getroffen habe, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit sofortiger Wirkung beendet werden müsse.
16. Mit Urteil vom 3. Dezember 2020 hat das Arbeitsgericht der Klage hinsichtlich der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung sowie der Zuerkennung eines Urlaubsabgeltungsanspruchs für 9 Tage entsprochen. Die fristgemäße Kündigung hat das Arbeitsgericht für wirksam erachtet. Das Arbeitsgericht hat zur Begründung ausgeführt, dass Herr B als der mit der Qualitätssicherung beauftragte Mitarbeiter eine herausgehobene Position und Funktion gehabt habe. Deshalb sei seine Kenntnis grundsätzlich der Beklagten zuzurechnen. Da er im Rahmen einer unzureichenden Organisation der Beklagten die Information fehlerhaft weitergegeben habe, sei von einem früheren Zugang der Information über die fehlerhafte Arbeitszeitaufzeichnung am 12. Januar 2020 bei der Beklagten auszugehen und damit die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt. Der Urlaubsabgeltungsanspruch sei weitgehend begründet. Dieser bestehe entsprechend der Geltendmachung des Klägers aus 5 restlichen Tagen für 2019 und 4 Tagen für Januar und Februar 2020. Für die Geltendmachung sei entgegen der zu formalistischen Ansicht des Bundesarbeitsgerichts die Zustellung der Kündigungsschutzklage ausreichend. Eine Geltendmachung des Urlaubsabgeltungsanspruchs für März 2020 sei nicht erfolgt.
17. Gegen dieses den Beklagtenvertretern am 14. Dezember 2020 zugestellte Urteil haben diese rechtzeitig Berufung eingelegt und diese auch rechtzeitig begründet. Herr B habe keine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb innegehabt. Er kontrolliere zwar die Qualitätsstandards der Beklagten, befinde sich als Reinigungskraft aber auf einer Ebene mit dem Kläger. Er habe auch nicht über die rechtlichen Kenntnisse verfügt, um den Sachverhalt so umfassend zu klären, dass mit seiner Meldung der Kündigungsberechtigte ohne weitere Erhebungen und Ermittlungen seine Kündigungsentscheidung habe treffen können. Es habe aber auch keine unsachgemäße Organisation im Betrieb der Beklagten gegeben. Die Organisation habe vorgesehen, dass der Bericht in den Eingang der Frau C hätte gelegt werden sollen. Allein das Versehen des Herrn B könne nicht dazu führen, dass die Organisation als unsachgemäß angesehen werde.
18. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung sei hinsichtlich der tenorierten Höhe vom Arbeitsgericht nicht begründet worden, im Übrigen aber auch verfallen. Die Erhebung der Kündigungsschutzklage umfasse gerade nicht den Anspruch auf Urlaubsabgeltung, der von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abhängig sei.
19. Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
20. das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 3. Dezember 2020 – 41 Ca 3130/20 – abzuändern und die Klage abzuweisen.
21. Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
22. die Berufung zurückzuweisen.
23. Der Kläger bestreitet unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vortrags auch im Übrigen den Vortrag hinsichtlich der Ablage und des Auffindens des Berichtes des Herrn B. Mangels näherer Angaben der Beklagten sei von einer unsachgemäßen Organisation für die Ablage von Berichten auszugehen. Hinsichtlich der Urlaubsabgeltung verweist der Kläger auf die ausdrückliche Geltendmachung am Ende der Klageschrift.
24. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt der Berufungsbegründung der Beklagten vom 9. März 2021 sowie den Inhalt der Berufungsbeantwortung des Klägers vom 8. April 2021 sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20. Mai 2021 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
25. Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht im Sinne der §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 Zivilprozessordnung (ZPO) eingelegt und begründet worden.
II.
26. Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
1.
27. Die außerordentliche Kündigung ist nicht begründet, weil die Beklagte nicht dargelegt hat, dass sie die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten hat.
1.1
28. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG ist der Kündigungsberechtigte für die Einhaltung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB darlegungs- und beweispflichtig (vgl. etwa BAG vom 16. Juli 2015 – 2 AZR 85/15). Derjenige, der eine Kündigung aus wichtigem Grund ausspricht, muss anhand von Tatsachen zunächst darlegen, dass er von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erst innerhalb der letzten zwei Wochen vor ihrem Ausspruch erfahren hat. Diese Darlegungspflicht ist nicht bereits erfüllt, wenn der Kündigende lediglich allgemein vorträgt, er kenne die Kündigungsgründe nicht länger als zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigung. Er muss vielmehr die Umstände schildern, aus denen sich ergibt, wann und wodurch er von den maßgebenden Tatsachen erfahren hat. Um den Zeitpunkt, in dem der Wissensstand des Kündigungsberechtigten ausreicht, bestimmen zu können, und um es dem Gekündigten zu ermöglichen, die behauptete Schilderung zu überprüfen und gegebenenfalls qualifiziert zu bestreiten, muss grundsätzlich angegeben werden, wie es zu der Aufdeckung des Kündigungsgrundes gekommen sein soll (BAG vom 1. Februar 2007 – 2 AZR 333/06).
1.2
29. Die Beklagte hat relativ allgemein vorgetragen, dass Frau C erst Ende Februar 2020 zufällig den Qualitätsbericht von Herrn B in der Ablage gefunden habe. Dabei hat die Beklagte erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erklärt, dass es sich um übereinander gestapelte Ablagekästen für verschiedene Zwecke handele und der Qualitätsbericht in einen falschen Ablageordner gelegt worden sei. Damit hat die Beklagte zwar nicht dargelegt, was der konkrete Anlass „Ende Februar 2020“ (und nicht vorher) gewesen ist, dass Frau C das (falsche) Fach durchgesehen und den Qualitätsbericht gefunden hat, aber zumindest die zeitliche Zuordnung für die Kündigung am 2. März 2020 lag „Ende Februar 2020“ noch in der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB.
30. Die Beklagte hat aber versäumt darzulegen, was der Qualitätsbericht konkret beinhaltete und damit die Beklagte in den Stand versetzt haben soll, (erst) Ende Februar 2020 über eine Sanktionierung des Fehlverhaltens des Klägers am 12. Januar 2020 Erwägungen anzustellen. Soweit die Beklagte in der Berufung ausgeführt hat, dass in dem Bericht das enthalten gewesen sei, was schriftsätzlich vorgetragen worden sei, ersetzt das diesen Sachvortrag nicht. Gerade angesichts des – streitigen – Vortrags des Klägers, dass er für die Geltendmachung von Vergütungsansprüchen sanktioniert worden sei, hätte es einer genaueren Darlegung der Beklagten bedurft, wie es zu der Aufdeckung des Kündigungsgrundes gekommen sein soll. Der Verweis auf einen „Qualitätsbericht“ ohne nähere Angaben zu dessen Inhalt ist dazu nicht ausreichend, denn die Beklagte hat in der Berufungsbegründung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Herr B die durch die Beklagte zu reinigenden Objekte bei dem Kunden kontrolliere und ggf. auch Nacharbeiten durchführe, um die Qualitätsstandards der Beklagten zu halten. Dass das auch die Kontrolle der Arbeitszeiten beinhaltet, erschließt sich nicht ohne weiteres. Soweit die Beklagte in der Berufungsverhandlung erklärt hat, dass das in einem Feld für sonstige Bemerkungen im Qualitätsbericht festgehalten worden sei, musste das Gericht dem nicht näher nachgehen, da dieser Vortrag infolge des Bestreitens des Klägers in der Berufungsverhandlung nicht unstreitig war, hätte die weitere Berücksichtigung dieses Vortrags zu einer Verzögerung des Rechtsstreits geführt. Denn die Beklagte berichtete nur aus dem Gedächtnis über den Inhalt des Qualitätsberichts und nicht im Wortlaut.
1.3
31. Der Beklagten war keine Erklärungsfrist einzuräumen, um zur Frage des Inhalts des Qualitätsberichts weiter vorzutragen, obwohl sich die Beklagte von diesem Umstand in der Berufungsverhandlung überrascht zeigte.
32. Der in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgte Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich nicht nur zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern. Dabei kann es in besonderen Fällen auch geboten sein, die Verfahrensbeteiligten auf eine Rechtsauffassung hinzuweisen, die das Gericht der Entscheidung zugrunde legen will, damit sie bei Anwendung der von ihnen zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermögen, auf welche Gesichtspunkte es für die Entscheidung ankommen kann (vgl. BVerfG vom 27. September 2018 – 1 BvR 426/13). Es kann im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtslage gleichkommen, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (BVerfG vom 14. Juli 1998 – 1 BvR 1640/97). Doch müssen Verfahrensbeteiligte, auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen (vgl. BVerfG vom 27. September 2018 – 1 BvR 426/13).
33. Es bedurfte auch keines gerichtlichen Hinweises nach § 139 ZPO. Eine solche Hinweispflicht des Gerichts besteht nur dann, wenn die Partei keinen Grund zu der Annahme hat, das Berufungsgericht werde von der erstinstanzlichen Würdigung abweichen, etwa weil die Frage von keiner Partei erörtert bzw. die erstinstanzliche Würdigung von keiner Partei angegriffen worden ist; dies gilt aber u. a. dann nicht, wenn der Prozessgegner bereits gezielt und konkret auf Mängel des gegnerischen Vortrags oder der erstinstanzlichen Entscheidung hingewiesen hat (vgl. Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin vom 17. April 2007 – 157/06).
34. Hier hatte der Kläger jedoch bereits erstinstanzlich und sodann nochmals in der Berufungserwiderung die Vorlage des Qualitätsberichts verlangt. Wie die Beklagte in der Berufungsverhandlung mitgeteilt hat, hat das Arbeitsgericht keine Veranlassung gesehen, der Beklagten die Vorlage dieses Qualitätsberichts aufzugeben. Das ist auch richtig gewesen, denn es ist grundsätzlich nicht Aufgabe des Gerichts, einer Partei die Beweismittel für ihren Vortrag vorzugeben. Ob die Beklagte den Qualitätsbericht ungeschwärzt, teilweise geschwärzt oder nur schriftsätzlich zitiert in das Verfahren einführt, obliegt allein der Entscheidung der Beklagten. Sich zum Inhalt des Qualitätsberichtes aber überhaupt nicht zu erklären, führt dazu, dass der Beginn der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht festgestellt werden kann.
35. Da der Beginn der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht festgestellt werden konnte, konnte auch die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung nicht festgestellt werden. Die Berufung der Beklagten war insoweit zurückzuweisen.
2.
36. Auch hinsichtlich der dem Kläger vom Arbeitsgericht zugesprochenen Urlaubsabgeltung ist die Berufung der Beklagten erfolglos. Denn mit der Klageschrift hat der Kläger ausdrücklich die klägerischen Entgeltansprüche auch bezogen auf die Urlaubsabgeltung ausdrücklich geltend gemacht.
2.1
37. Zwar gehört zu einer ordnungsgemäßen Geltendmachung eines Anspruchs nach einer tarifvertraglichen Ausschlussklausel regelmäßig seine wenigstens annähernde Bezifferung der Höhe nach, wie die Beklagte zutreffend in der Berufungsverhandlung ausgeführt hat. Im Streitfall war dies indes entbehrlich. Denn die Beklagte war auch ohne Benennung der Höhe der vom Kläger geltend gemachten Urlaubsabgeltung jederzeit genau darüber im Bilde, auf welche Beträge der Kläger insoweit Anspruch erhoben hat. Das ist ausreichend für eine ordnungsgemäße Geltendmachung (vgl. BAG vom 23. Februar 2005 – 4 AZR 79/04). Damit war die tarifliche (und die vertragliche) Ausschlussfrist bezüglich der Urlaubsabgeltungsansprüche des Klägers – zumindest bis Ende Februar 2020 – gewahrt. Die Beklagte wusste, welchen Urlaubsanspruch der Kläger besitzt, wieviel Urlaub sie ihm bereits gewährt hatte und welche Vergütung der Kläger in den Monaten Dezember 2019 bis Februar 2020 bezogen hatte. Damit bedurfte es keiner weitergehenden Bezifferung.
2.2
38. Soweit die Beklagte beanstandet hat, dass die Höhe der tenorierten Urlaubsabgeltung nicht begründet sei, ist der Beklagten zwar zuzugeben, dass sich entsprechende Ausführungen in dem arbeitsgerichtlichen Urteil nicht finden. In Verbindung mit dem Schriftsatz des Klägers vom 31. August 2020 war aber die Berechnung offensichtlich. Denn 9 Urlaubsabgeltungstage zu je 101,11 EUR ergeben – unschwer zu berechnen – 909,99 EUR.
III.
39. Die Kostenentscheidung folgt § 64 Abs.6 ArbGG in Verbindung mit § 97 ZPO. Die Beklagte hat die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
40. Die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG kam nicht in Betracht, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorgelegen haben.
Zuletzt aktualisiert am Juli 21, 2021 von eurogesetze
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