Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines Altvertrages über eine Lebensversicherung im sog. Policenmodell

Gericht: KG Berlin 6. Zivilsenat
Entscheidungsdatum: 21.05.2021
Aktenzeichen: 6 U 16/21
ECLI: ECLI:DE:KG:2021:0521.6U16.21.00
Dokumenttyp: Beschluss

Bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines Altvertrages über eine Lebensversicherung im sog. Policenmodell

Leitsatz

1. Ist eine Widerspruchsbelehrung fehlerhaft im Sinne des § 5a Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VVG aF, weil sie die Ausübung des Widerspruchs von einer „schriftlichen“ Erklärung abhängig macht, während die geltende Fassung der Vorschrift die Textform ausreichen lässt, so ist bei der Würdigung, ob ein Ausnahmefall vorliegt, in welchem dem Versicherungsnehmer die Geltendmachung seines bereicherungsrechtlichen Rückabwicklungsanspruchs verwehrt sein kann, weil besonders gravierende Umstände vorliegen, aufgrund derer in der Geltendmachung dieses Anspruchs eine widersprüchliche und damit unzulässige Rechtsausübung liegt (vgl. BGH, Hinweisbeschluss vom 11. November 2015 – IV ZR 117/15 Rn. 16), auch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft zu berücksichtigen (insbesondere EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 bis C-357/18 u.a. VersR 2020, 341, juris Rn. 78 ff.).

2. Denn auch die maßgeblichen europarechtlichen Vorgaben in Fällen einer fehlerhaften Belehrung erfordern nicht stets ein zeitlich unbegrenztes Widerspruchsrecht des Versicherungsnehmers, sondern es ist stets dem nationalen Rechtsrahmen und den Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen (vergl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 5. August 2020 – 20 U 68/20, Rn. 19, juris) .

3. Danach ist zu prüfen, ob dem Versicherungsnehmer durch die Informationen nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben (EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, juris).

4. Im Einzelfall kann die Prüfung ergeben, dass das Verhalten des Versicherungsnehmers einen Schluss darauf zulässt, dass er auch bei Kenntnis des Widerspruchsrechts – hier: der tatsächlich geringfügigeren Formanforderungen – an dem Versicherungsvertrag festgehalten und von dem ihm zustehenden Widerspruchsrecht keinen Gebrauch gemacht hätte.

5. Wenn angenommen werden kann, dass sich der Versicherungsnehmer durch den mit Einhaltung der Schriftform des § 126 BGB einhergehenden geringen Mehraufwand, von der Wahrnehmung des Widerspruchsrechts nicht hätte abhalten lassen, kann der dennoch nach jahrelanger Vertragsdurchführung erklärte Widerspruch im Einzelfall als rechtsmissbräuchlich erscheinen.

Orientierungssatz

Weitere Zitierungen: Fortführung KG, Beschluss vom 22. Mai 2020 – 6 U 112/19 und vergleiche OLG Hamm, Beschluss vom 29. Oktober 2020 – I-20 U 142/20.

Verfahrensgang

vorgehend LG Berlin, 4. Dezember 2020, 4 O 185/20

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 04.12.2020, Aktenzeichen 4 O 185/20, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Berlin ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 8.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

1. Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird zunächst auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Landgerichts Berlin vom 13.01.2021 Bezug genommen. Die Klägerin begehrt in der Berufung weiterhin die Rückabwicklung nach § 812 ff BGB des mit der Beklagten im Policenmodell gem. § 5a VVG in der Fassung vom 13.07.2001 (im Folgenden: § 5a VVG a.F.) geschlossenen Vertrages über eine fondsgebundene Lebensversicherung zu der Versicherungsscheinnummer FN0000000. Mit aus einer einzelnen Din-A-4-Seite mit wenigen Absätzen bestehendem Zuleitungsschreiben vom 29.11.2004 (Anlage K1) übersandte die Beklagte den Versicherungsschein und belehrte die Klägerin in einem durch Fettdruck hervorgehobenen Absatz mit folgendem Wortlaut über das ihr nach § 5a VVG a.F. zustehende Widerspruchsrecht:

2. Der Vertrag gilt auf der Grundlage der beigefügten Unterlagen – Versicherungsschein, Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen – als abgeschlossen, wenn Sie nicht innerhalb von 14 Tagen ab Erhalt dieser Unterlagen uns gegenüber schriftlich widersprechen. Um diese Frist zu wahren, genügt es, den Widerspruch innerhalb dieser Frist an uns abzusenden.

3. Unter dem 1.12.2004 unterzeichnete die Klägerin ein Empfangsbekenntnis, in welchem sie den Empfang des Versicherungsscheines, der zugehörigen Verbraucherinformation und der Versicherungsbedingungen bestätigte (Anlage B1). Nach Kündigung der Versicherung im Juli 2019 durch die Klägerin zahlte die Beklagte aufgrund Abrechnung einen Betrag von 30.619,96 € aus. Unter dem 16.04.2020 erklärte die Klägerin sodann den Widerspruch gegen den Abschluss des Versicherungsvertrages und begehrt mit der Klage die Auszahlung weiterer 7.702,53 €, nämlich neben den zurückverlangten Beiträgen auch die hieraus gezogenen Nutzungen, welche die Klägerin auf der Grundlage der Nettokapitalrendite berechnet. Das Landgericht hat die Klageabweisung vornehmlich mit dem Ablauf der Jahresfrist ab Zahlung der ersten Prämie gemäß § 5 Abs. 2 S. 4 VVG a.F. begründet, da im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) bei einem geringfügigen Fehler, wie er hier bei der Belehrung über den Widerspruch in Schriftform anstelle der gesetzlich vorgesehenen Textform vorliege, die richtlinienkonforme teleologische Reduktion der Vorschrift nicht geboten sei. Denn die Klägerin habe bei der erfolgten Belehrung das Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen ausüben können. Die Vereinbarkeit der Regelung des § 5a VVG a.F. als solcher mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht ließ das Landgericht im angefochtenen Urteil offen. Jedenfalls könne die Klägerin die Rückabwicklung des 15 Jahre lang durchgeführten Versicherungsvertrages nicht verlangen, weil ihrem Widerspruch der Einwand der Verwirkung entgegen stehe. Die Klägerin wendet sich mit der Berufung, mit der sie die erstinstanzlichen Anträge weiter verfolgt, gegen die Anwendung der Jahresfrist nach § 5 Abs. 2 S. 4 VVG a.F., da dies der Rechtsprechung des BGH in gleich gelagerten Fällen widerspreche und die aktuelle Rechtsprechung des EuGH eine Änderung dieser Rechtsprechung nicht gebiete, weil die in der Belehrung ausgewiesene Schriftform eine wesentliche Abweichung von der gesetzlich vorgesehenen Textform bedeute, so dass die Klägerin den Widerspruch nicht im Wesentlichen unter den selben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung habe ausüben können.

4. Der Senat hat mit Beschluss vom 23.03.2021 darauf hingewiesen, dass die Berufung der Klägerin keine Aussicht auf Erfolg hat und daher die Zurückweisung gem. § 522 Abs. 2 ZPO beabsichtigt ist. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit Gegenerklärung vom 3.05.2021.

II.

5. Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 04.12.2020, Aktenzeichen 4 O 185/20, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

6. Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung erfolgreich nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Für beides ist vorliegend nichts ersichtlich. Es bestehen weder konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen des Landgerichts begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), noch nennt die Berufungsbegründung neue entscheidungserhebliche Tatsachen, die gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO zuzulassen und deshalb nach § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO der Berufungsentscheidung zugrunde zu legen wären. Die Berufungsangriffe zeigen insofern nicht auf, dass das Landgericht das Recht fehlerhaft angewendet hätte.

7. Zur Begründung wird zunächst auf die Ausführungen in dem detaillierten Hinweisbeschluss des Senats vom 23.03.2021 Bezug genommen, an denen der Senat auch nach erneuter Prüfung und Beratung uneingeschränkt weiter festhält.

8. Der Senat hat darin ausgeführt, dass dem mit der Klage geltend gemachten

9. Rückabwicklungsanspruch nach §§ 812 ff. BGB hier auch dann der Erfolg zu versagen ist, wenn entgegen der Auffassung des Landgerichts die Jahresfrist des § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des BGH noch nicht abgelaufen wäre. Ob die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung, auf die sich die Berufung stützt, herangezogene richtlinienkonforme einschränkende Auslegung der Jahresfrist des § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. über das Erlöschen des Widerspruchsrechts im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung (vergl. BGH, Urteil vom 7.5.2014 – IV ZR 76/11, juris Rn. 18 ff.) auch in den Fällen Geltung beanspruchen kann, in denen die Widerspruchsbelehrung zwar fehlerhaft ist, jedoch dem Versicherungsnehmer hierdurch nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Rücktrittsrecht unter im Wesentlichen denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben (zu dem Kriterium: EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18 –, juris), was das Landgericht verneint, bedarf im vorliegenden Fall keiner abschließenden Entscheidung. Denn das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht mit der Begründung abgewiesen, dass der Geltendmachung des Rückabwicklungsanspruchs jedenfalls der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegen steht. Die Versagung des Widerspruchsrechts durch das angefochtene Urteil steht jedenfalls insofern mit der – in ständiger Rechtsprechung auch vom Senat herangezogenen (zuletzt KG Berlin, Beschluss vom 22. Mai 2020 – 6 U 112/19 –, Rn. 24, 35 ff, 37 juris) – höchstrichterlichen Rechtsprechung in Einklang, wonach auch bei einer fehlenden oder fehlerhaften Widerrufsbelehrung und/oder einer sonst unvollständigen Verbraucherinformation dem Versicherungsnehmer in Ausnahmefällen die Geltendmachung seines bereicherungsrechtlichen Rückabwicklungsanspruchs verwehrt sein kann, wenn besonders gravierende Umstände vorliegen, aufgrund derer in der Geltendmachung dieses Anspruchs eine widersprüchliche und damit unzulässige Rechtsausübung liegt (vergl. BGH, Hinweisbeschluss vom 11.11.2015 – IV ZR 117/15 Rn. 16; Hinweisbeschluss vom 27.1.2016 – IV ZR 130/15 Rn. 16). Solche Umstände liegen hier vor, zumal auch diese Prüfung der besonderen Umstände des Einzelfalles im Lichte der aktuellen Rechtsprechung des EuGH vorzunehmen ist.

10. Im Einzelnen:

1.

11. Zutreffend und von der Berufung nicht beanstandet ist das Landgericht im Ansatz davon ausgegangen, dass die erfolgte Widerspruchsbelehrung den Anforderungen des § 5a Abs. 2 S. 1, Abs. 1 S. 1 VVG a.F. nicht entspricht und daher fehlerhaft ist, weil sie die Ausübung des Widerspruchs von einer „schriftlichen“ Erklärung abhängig macht, während bereits die seit 1.08.2001 geltende Fassung der Vorschrift die Textform ausreichen lässt. Mit Wirkung zum 1. August 2001 wurde § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG durch das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr vom 13. Juli 2001 (BGBl. I, 1542) dahin geändert, dass der Widerspruch in „Textform“ erfolgen kann (hierzu BGH, Urteil vom 14. Oktober 2015 – IV ZR 211/14 –, Rn. 12, juris m.w.N.). Aus den in dem angefochtenen Urteil in Bezug genommenen Entscheidungen des BGH ergibt sich auch, dass beide Begriffe nicht deckungsgleich sind, weil die Textform eine Erleichterung gegenüber der Schriftform darstellt (vergl. BGH, a.a.O.). Es bedarf nach der zum maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung des § 5a VVG a.F. für einen wirksamen Widerspruch nicht mehr der traditionellen Schriftform, sondern eine Verkörperung in „Textform“ ist ausreichend, d.h. es genügt, wenn die Erklärung in Textform lesbar gemacht werden kann (vergl. BGH, a.a.O.; BGH Urteil vom 10.06.2015 – IV ZR 105/13 –, Rn. 11, juris). Die Berufung weist auch zu Recht darauf hin, dass nach der vorgenannten höchstrichterlichen Rechtsprechung im Hinblick darauf, dass die Schriftform im Unterschied zur Textform eine eigenhändige Unterschrift erfordert (§ 126 Abs. 1 BGB) und damit strengere Anforderungen stellt, die Abweichung in der Belehrung nicht etwa geringfügig und daher für die inhaltlichen Anforderungen an die ordnungsgemäße Belehrung von vornherein unschädlich wäre (vergl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2015 – IV ZR 367/13 –, Rn. 12, juris). Auch die Mitteilung, wonach zur Fristwahrung die rechtzeitige „Absendung“ der Widerspruchserklärung genüge, führt nicht zu der erforderlichen Klarheit der notwendigen Belehrung über das gesetzliche Formerfordernis, weil unklar bleibt, ob hierzu eine Verkörperung in Textform ausreicht oder ob es der traditionellen Schriftform bedarf, zumal der Begriff „Absendung“ eher auf das Erfordernis einer verkörperten Erklärung hindeuten dürfte (vergl. BGH, Beschluss vom 27. 01. 2016 – IV ZR 130/15 –, Rn. 12, juris; Senatsurteil vom 12. April 2016 – 6 U 102/15 –, Rn. 13, juris).

2.

12. Auf dem Boden dieser Rechtsprechung hat das Landgericht daher zutreffend erkannt, dass die Belehrung fehlerhaft war und mithin den Lauf der Frist des § 5a Abs. 2 S. 1 VVG a.F., welcher erst mit ordnungsgemäßer Belehrung beginnt, nicht in Gang setzen konnte. Einen weiteren Fehler in der Belehrung oder den Verbraucherinformationen macht die Klägerin auch in der Berufung nicht geltend und ein solcher ist auch sonst nicht ersichtlich, insbesondere behauptet die Klägerin in dem mit „Nichterhalt der notwendigen Unterlagen“ überschriebenen Abschnitt der Klageschrift (Seite 5) selbst nicht, dass sie etwa bestimmte erforderliche Verbraucherinformationen nicht erhalten habe, sondern beruft sich lediglich darauf, dass nach § 5a Abs. 2 S. 2 VVG a.F. der Nachweis über den Zugang der Unterlagen dem Versicherer, hier der Beklagten, obliege. Dieser Darlegungs- und Beweislast hat die Beklagte indes schon genügt; denn die Klägerin hat unter dem 1.12.2001 ein gesondertes und als solches überschriebenes „Empfangsbekenntnis“ (Anlage B1) unterzeichnet, mit welchem sie den Erhalt von Versicherungsschein und zugehörigen Verbraucherinformationen und Versicherungsbedingungen quittiert hat. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Klägerin mit Ausnahme der für die Erklärung entbehrlichen Unterschrift über alle nach § 5a VVG a.F. erforderlichen Informationen verfügte. Das Landgericht geht insoweit zutreffend davon aus, dass ein solches von sonstigen Erklärungen freies Empfangsbekenntnis die Beweislast für den Erhalt der dort aufgeführten Unterlagen umkehrt. Es hätte insoweit der – hier fehlenden – Darlegung seitens der Klägerin bedurft, dass und welche Verbraucherinformationen ihr nicht zugegangen seien.

3.

13. Für eine Abweichung in der Belehrung wie der hier vorliegenden kommt die vorgenannte höchstrichterliche Rechtsprechung zu dem Ergebnis, dass die Regelung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F., wonach das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt, nicht anwendbar sei und das Widerspruchsrecht auch nach Ablauf der Jahresfrist fortbestand, weil die Vorschrift auf der Grundlage der Vorabentscheidung des EuGH vom 19.12.2013 (Urteil vom 19. Dezember 2013 – C-209/12 –, juris) richtlinienkonform einschränkend auszulegen und mithin nicht anzuwenden sei (vergl. BGH, Urteil vom 14. Oktober 2015 – IV ZR 211/14 –, Rn. 12 – 14, juris). Nach dieser Rechtsprechung bestand mithin das Widerspruchsrecht fort, weil die Widerspruchsfrist nicht zu laufen begonnen hat und die Vorschrift des § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. über das Erlöschen des Widerspruchsrechtes binnen Jahresfrist nicht anwendbar ist.

4.

14. Das Landgericht geht in der angefochtenen Entscheidung hingegen davon aus, dass die richtlinienkonforme Auslegung nach der neuen Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 19.12.2019 – C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18 –, juris) eine solche weitgehende Unanwendbarkeit der Jahresfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. jedenfalls in den Fällen, in denen die Belehrung nur einen geringfügigen Fehler aufweist, nicht ohne Weiteres erfordert. Zwar weist der EuGH in dieser Entscheidung darauf hin, dass durch die einschlägigen Bestimmungen der Richtlinien sichergestellt werden soll, dass der Versicherungsnehmer insbesondere über sein Rücktrittsrecht zutreffend belehrt wird (vergl. EuGH, Urteile vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18 –, Rn. 71, juris, EuGH Urteil vom 2.4.2020, C-20/19). Bei einer fehlerhaften Belehrung, die dem Versicherungsnehmer nicht die Möglichkeit nimmt, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben, wäre es nach Auffassung des EuGH jedoch unverhältnismäßig, es ihm zu ermöglichen, sich von den Verpflichtungen aus einem in gutem Glauben geschlossenen Vertrag zu lösen. In solchen Fällen bliebe es dem über sein Rücktrittsrecht informierten Versicherungsnehmer unbenommen, sein Rücktrittsrecht auszuüben und sich von den eingegangenen Verpflichtungen zu lösen, so dass das Ziel der Richtlinien 90/619, 92/96, 2002/83 und 2009/138 erreicht würde. Es obliegt sodann im jeweiligen Einzelfall den nationalen Gerichten, zu prüfen, ob die Versicherer Informationen über die Form der Rücktrittserklärung mitgeteilt haben, und ferner ob diese Informationen derart unrichtig waren, dass den Versicherungsnehmern die Möglichkeit genommen wurde, ihr Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben, wobei im Wege einer Gesamtwürdigung insbesondere dem nationalen Rechtsrahmen und den Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen sei (EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C355/18 bis C-357/18 und C-479/18 –, Rn. 79 – 81, juris). Das Landgericht hat in der angefochtenen Entscheidung im Rahmen dieser Prüfung befunden, dass in der Belehrung über die Schriftform lediglich ein geringfügiger Fehler vorliege, der nicht geeignet sei, den Versicherungsnehmer in der Ausübung seines Widerspruchsrechts mehr als nur unwesentlich zu behindern. Das Argument des Landgerichts, dass es für die Fertigung und Absendung eines Schreibens nur eines geringfügigen Mehraufwandes gegenüber der Fertigung und Absendung einer E-Mail erfordere, ist nicht von der Hand zu weisen, denn, wie das Landgericht ausführt, bedarf es für die Versendung einer E-Mail eines technischen Hilfsmittels (Computer, Mobiltelefon), während dies für einen handschriftlich unterschriebenen Brief nicht erforderlich sei. Jedenfalls gemessen an der, auch vom Landgericht ins Feld geführten, weit reichenden wirtschaftlichen Bedeutung eines langjährigen Versicherungsvertrages dürfte sich kein Versicherungsnehmer durch das insofern erhöhte Formerfordernis von der Ausübung seines Widerspruchsrechts abhalten lassen, wenn er die Absicht hat, sich bei echter Vertragsreue von einem ihm ungünstigen Lebensversicherungsvertrag zu lösen. Dies zumal die Klägerin hier drucktechnisch durch Fettdruck hinreichend hervorgehoben in einem insgesamt auf einen Blick überschaubaren, aus wenigen Absätzen bestehenden Gesamttext auf nur einer einzigen Seite im Grundsatz zutreffend über ihr Widerspruchsrecht von 14 Tagen nach Zugang des Versicherungsscheins einschließlich der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformationen belehrt wurde.

15. Die vorgenannte Rechtsprechung des BGH besagt insofern, dass der hier vorliegende Belehrungsfehler nicht so unerheblich ist, dass die Belehrung dennoch den gesetzlichen Anforderungen genüge. Die Frage, ob der Fehler so gravierend ist, dass dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit genommen wurde, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben, ist jedoch in den vorgenannten Entscheidungen des BGH nicht angesprochen und mithin nicht entschieden worden. Ob der fehlende ausdrückliche Hinweis auf die gesetzliche Textform des Widerspruchs nach § 5a Abs. 1 S. 1 VVG a.F. überhaupt noch ein Fortbestehen des Widerspruchsrechtes nach der Rechtsprechung des BGH zur richtlinienkonformen teleologischen Reduktion der Vorschrift über das Erlöschen des Widerspruchsrechts ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie in § 5a Abs. 2 S. 4 VVG a. F. rechtfertigt, kann mit der Argumentation des angefochtenen Urteils durchaus zweifelhaft erscheinen.

16. Der BGH hat die auch hier in der Belehrung enthaltene Formulierung, dass zur Wahrung der Frist die „rechtzeitige Absendung des Widerspruchs“ genügt, für die Belehrung über die Textform nicht für ausreichend erachtet, weil unklar bleibe, ob eine Verkörperung in Textform ausreicht oder ob es der gesetzlichen Schriftform bedarf, und deshalb einen ausdrücklichen Hinweis auf die Textform für erforderlich erachtet (Urteil vom 29.7.2015 – IV ZR 384/14 Rn. 26), wobei die Textform selbst nicht weiter erläuterungsbedürftig sei (Urteil vom 10.6.2015- IV ZR 105/13 Rn. 11). Durch diese Unklarheit – Textform oder strengere traditionelle Schriftform – hat der Versicherungsnehmer lediglich den Nachteil, für die Ausübung seines Widerspruchsrechts vorsorglich die nicht erforderliche gesetzliche Schriftform anstelle der einfacheren Textform wählen zu müssen. Es könnte sich dabei noch „im Wesentlichen“ um dieselben Bedingungen im Sinne der Rechtsprechung des EuGH handeln. Über diese Frage bedarf es im vorliegenden Fall jedoch keiner abschließenden Entscheidung.

5.

17. Denn das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, weil das Verhalten der Klägerin nach § 242 BGB treuwidrig war. Denn der späten Geltendmachung eines etwaig noch bestehenden Lösungsrechts der Klägerin stehen besonders gravierende Umstände entgegen, die sich wegen widersprüchlichen Verhaltens als Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) darstellen.

5.1.

18. Eine Rechtsausübung kann unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen (vergl. BGH, Urteil vom 7.5.2014 – IV ZR 76/11 a.a.O. Rn. 40; hierzu auch Senatsurteil vom 12.04.2016 – 6 U 102/15 –, Rn. 14, juris). Hat der Versicherer den Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt, kann er grundsätzlich kein vorrangiges schutzwürdiges Vertrauen in Anspruch nehmen (BGH a.a.O. Rn. 39 f.), weil er die Situation selbst herbeigeführt hat (BGH, Urteil vom 26.09.2018 – Az. IV ZR 304/15; BGH, Urteil vom 01.06.2016 – Az. IV ZR 343/15). Die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens kommt allerdings auch bei nicht ordnungsgemäßer Belehrung in Betracht. Auch bei einer fehlenden oder fehlerhaften Widerrufsbelehrung und/oder einer sonst unvollständigen Verbraucherinformation kann dem Versicherungsnehmer in Ausnahmefällen die Geltendmachung seines Rückabwicklungsanspruchs verwehrt sein, wenn dem besonders gravierende Umstände entgegen stehen. Allgemein gültige Maßstäbe können dazu nicht aufgestellt werden. Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben obliegt vielmehr einer tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall (BGH, Hinweisbeschluss vom 11.11.2015 – IV ZR 117/15 Rn. 16, vgl. auch BGH Urteil vom 26.09.2018 – IV ZR 304/15, Rn. 23, juris; Beschluss vom 27. September 2017 – IV ZR 506/15 –, Rn. 15, juris; BGH, Beschlüsse vom 27.01.2016 und vom 22.03.2016 – Az. IV ZR 130/15; hierzu auch KG, Senatsurteil vom 31. Januar 2017 – 6 U 30/16 –, Rn. 23, m.w.N. juris). Bei der Würdigung, ob im vorliegenden Fall solche besonders gravierenden Umstände vorliegen, die ein schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers in den Bestand des Versicherungsvertrages begründen, kann insbesondere auch die Auslegung im Lichte der Rechtsprechung des EuGH maßgeblich sein. Denn auch die maßgeblichen europarechtlichen Vorgaben in Fällen einer fehlerhaften Belehrung erfordern nicht stets ein zeitlich unbegrenztes Widerspruchsrecht des Versicherungsnehmers, sondern es ist stets dem nationalen Rechtsrahmen und den Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen (vergl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 05. August 2020 – 20 U 68/20 –, Rn. 19, juris unter Bezugnahme auf EuGH, Urteil vom 19.12.2019 – C-355/18 bis C-357/18, a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 29. Oktober 2020 – I-20 U 142/20 –, Rn. 61, juris = VersR 2021, 166-168; OLG Hamburg, Beschluss vom 06. August 2020 – 9 U 35/20 –, Rn. 12, juris sowie vorgehend vom 16. Juni 2020, Rn. 26, juris; OLG Bremen, Beschluss vom 27. Januar 2021 – 3 U 23/20 –, Rn. 5, juris).

5.2.

19. Danach erscheint vorliegend die Geltendmachung des Widerspruchsrechts gem. § 242 BGB als unzulässig, weil das Vertrauen der Beklagten in den anfänglichen Bestand des Versicherungsvertrages ungeachtet des Belehrungsfehlers als überwiegend schutzwürdig erscheint, nachdem der streitgegenständliche Lebensversicherungsvertrag jahrelang – hier für die Dauer von 15 Jahren – unter regelmäßiger Beitragszahlung aktiv durchgeführt wurde. Dies gilt erst Recht angesichts der diversen Vertragsänderungen durch die Klägerin im Hinblick auf Beitragserhöhungen, auf die Wiederaufnahme der Beitragszahlungen nach zeitweiligem Ruhen des Vertrages, auf die Bezugsberechtigung im Todesfall sowie auf den gewählten Fonds, und ferner nach erfolgter Abrechnung und Auszahlung infolge Kündigung durch die Klägerin. Dabei ist zwar anerkannt, dass die vollständige Leistungserbringung für sich genommen für das Entstehen überwiegenden schutzwürdigen Vertrauens des Versicherers nicht ausreicht (vergl. BGH, Urteil vom 27. Januar 2016 – IV ZR 488/14 –, Rn. 19, juris). Dies bedeutet jedoch nicht, dass der vollständigen vertragsgemäßen Leistungserbringung im Rahmen der Gesamtabwägung keine Bedeutung beikommen darf (so schon KG Senatsbeschluss vom 22. Mai 2020 – 6 U 112/19 –, Rn. 38, juris). Auch in dem vorliegenden Fall kommt der vollständigen Leistungserbringung durch die Beklagte – in Zusammenschau mit anderen Umständen – Gewicht zu. Denn gerade dieser Aspekt sowie die Tragweite und weit reichende wirtschaftliche Bedeutung des Versicherungsvertrages führt dazu, dass sich der vorliegende Belehrungsfehler in der Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen als geringfügig darstellt. Denn die Klägerin lief – wie zuvor erläutert – aufgrund des Belehrungsfehlers nicht Gefahr, infolge ihrer Unkenntnis über die tatsächlichen gesetzlichen Anforderungen (Textform) eine unwirksame Erklärung abzugeben. Vielmehr erlitt sie lediglich den Nachteil, für die Ausübung ihres Widerspruchsrechts vorsorglich die nicht erforderliche gesetzliche Schriftform anstelle der einfacheren Textform wählen zu müssen. Zwar hat der BGH das Schriftformerfordernis nicht als „marginalen“ Fehler, sondern als wesentlichen Punkt der Widerspruchsbelehrung angesehen, hierbei aber offen gelassen, ob der Verwirkungseinwand schon allein darauf zu stützen sein könnte, dass eine Widerspruchsbelehrung nur marginale Fehler aufweist (vergl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2015 – IV ZR 448/14 –, Rn. 30, juris). Nach der Rechtsprechung des EuGH ist bei der Prüfung, ob der Belehrungsmangel sich als erheblich darstellt, eine Gesamtwürdigung vor dem Hintergrund des nationalen Rechtsrahmens und der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – a.a.O. Rn. 82, juris). Danach kann hier auch berücksichtigt werden, dass auch die Erleichterung der Erklärung durch Textform gemäß § 126b BGB gewissen Anforderungen und Beweisschwierigkeiten unterliegt. Eine Erklärung durch Textform setzt nach § 126b BGB voraus, dass eine lesbare Erklärung vorliegt, in der die Person des Erklärenden genannt ist, und die auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben werden muss, neben Urkunden also auch elektronische Speichermedien, sofern nur die gespeicherten Daten mit Hilfe von Anwendungsprogrammen (in Schriftzeichen) lesbar sind und der Datenträger geeignet ist, die Erklärung dauerhaft festzuhalten (vergl. MüKoBGB/Einsele, 8. Aufl. 2018, BGB § 126b Rn. 4). Dabei trägt jedoch der Erklärende die Darlegungs- und Beweislast für die Einhaltung des (Text-)Formerfordernisses sowohl für die Frage der formwirksamen Abgabe der Erklärung als auch für den formwirksamen Zugang empfangsbedürftiger Erklärungen (vergl. MüKoBGB/Einsele, a.a.O., BGB § 126b Rn. 13). Damit genügt zwar eine Erklärung durch E-Mail oder sogar auf einer Internetseite der Textform; die Funktion der Beweissicherung kann die Textform hingegen kaum übernehmen, da der Erklärende seinen Namen zwar nennen, sich hierzu aber nicht in (weitgehend) unverwechselbarer Weise durch Unterschrift oder elektronische Signatur bekennen muss (vergl. MüKoBGB/Einsele, a.a.O., BGB § 126b Rn. 9). Der dem widersprechenden Versicherungsnehmer obliegende Nachweis der Einhaltung des Formerfordernisses kann insofern bei Wahl der hier – fälschlich – in der Belehrung vorgegebenen Schriftform mitunter leichter erfüllt werden. Insofern birgt die in der Belehrung vorgesehene Form für den Versicherungsnehmer auch Vorteile hinsichtlich der Erfüllung seiner Beweislast. Da der Versicherungsnehmer mit einer schriftlichen Erklärung, wie sie laut Belehrung notwendig erschien, zum einen die gesetzlich vorgesehene Textform jedenfalls erfüllte, also eine wirksame Erklärung abgab, und zum anderen den Vorteil der leichteren Beweisbarkeit der Einhaltung des Formerfordernisses in Anspruch nehmen konnte, erscheint es im Lichte der EuGH-Rechtsprechung als unverhältnismäßig, unter Hinweis auf diesen Fehler in der Belehrung die Lösungsmöglichkeit des Versicherungsnehmers zeitlich unbegrenzt zuzulassen. Denn nach diesem Maßstab ist nicht jede unrichtige Information über die Form der Erklärung des Rücktritts, die in der Belehrung über das Widerspruchsrecht enthalten ist, als fehlerhafte Belehrung anzusehen (vergl. EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18 –, Rn. 78, juris). Der EuGH sieht es dann, wenn die gegebene Information über das Widerspruchsrecht nicht derart unrichtig war, dass den Versicherungsnehmern die Möglichkeit genommen wurde, ihr Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben, als unverhältnismäßig an, ihm zu ermöglichen, sich von den Verpflichtungen aus einem in gutem Glauben geschlossenen Vertrag zu lösen (EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 – C-355/18 bis C357/18 und C-479/18 –, Rn. 79, 81, juris). Jedenfalls soll das Widerspruchsrecht nach der vorgenannten Entscheidung lediglich dazu dienen, die Wahlfreiheit des Versicherungsnehmers zu schützen, nicht aber, ihm eine höhere Rendite zu ermöglichen (vergl. EuGH, Urteil vom 19.12.2019 – C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, Rn. 120 f., siehe auch Senatsbeschluss vom 22. Mai 2020 – 6 U 112/19 –, Rn. 48, juris).

5.3.

20. Die Begrenzung des Lösungsrechts des Versicherungsnehmers bei fehlerhafter Belehrung durch das Verbot rechtsmissbräuchlichen Verhaltens ist vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung des EuGH auch richtlinienkonform (vergl. KG Senatsbeschluss vom 22. Mai 2020 ( 6 U 112/19 -, juris, LS. 3 und Rn. 46-51 mit zahlr. w.N.). Eine Vorlage an den EuGH ist nach dem zuvor Gesagten nicht erforderlich, weil die entscheidungserhebliche Frage eine Einzelfallbewertung im Rahmen des Treuwidrigkeitseinwandes betrifft, was auch vom EuGH als Einschränkung der Verbraucherrechte anerkannt ist („acte éclairé“, vergl. BGH, Urteil vom 16.07.2014 – IV ZR 73/13, Rn 42; Beschluss vom 22.03.2016 – IV ZR 130/15 – juris, sowie BVerfG Beschluss vom 2.2.2015 – 2 BvR 2437/14 Rn. 43 ff.; BGH, Urteil vom 16.7.2014 – IV ZR 73/13 Rn. 41 f.).

6.

21. Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung der Klägerin vom 3.05.2021 geben zu einer Änderung keinen Anlass. Entgegen der dort geäußerten Bedenken der Klägerin bestehen keine Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Bewertung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes.

22. Mit den in der Gegenerklärung angeführten Entscheidungen des BGH hat sich der Senat bereits in dem Hinweisbeschluss eingehend auseinandergesetzt, so dass sich eine erneute vertiefte Auseinandersetzung mit diesen Einwänden erübrigt.

23. Soweit die Klägerin hierbei auf die Rechtsprechung des BGH hinweist, der den Belehrungsmangel über die Schriftform statt der lediglich erforderlichen Textform nicht als marginalen Fehler angesehen hat (vergl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2015 – IV ZR 448/14 –, Rn. 30, juris), führt dies lediglich dazu, dass die Belehrung fehlerhaft ist und daher die Widerspruchsfrist des § 5a Abs. 2 S. 1 VVG a.F. nicht in Gang setzen konnte. Ob die Berufung auf dieses formal fortbestehende Lösungsrechts unter Würdigung der durch den Fehler bei dessen Ausübung bestehenden Erschwernis und des auf einen Willen zur Vertragsdurchführung hindeutenden Verhaltens der Klägerin sich jedoch im Einzelfall als rechtsmissbräuchlich darstellen kann, ist hiermit nicht beantwortet. Dem Durchgreifen des Treuwidrigkeitseinwands wegen widersprüchlichen Verhaltens steht danach der Fehler der Widerspruchsbelehrung auch im vorliegenden Fall gerade nicht entgegen. Die Rechtsprechung des BGH, wonach besonders gravierende Umstände ein Vertrauen des Versicherers in den Fortbestand des Vertrages rechtfertigen können, ist gerade zu den Fällen der fehlenden oder fehlerhaften Belehrung ergangen. In diesen Ausnahmefällen greift aber der Gesichtspunkt, dass der Versicherer „die Situation selbst herbeigeführt hat“ (vgl. BGH, Urteil vom 7.5.2014 – IV ZR 76/11, Rn. 39 f.) nicht durch (vergl. KG, Senatsbeschluss vom 22. Mai 2020 – 6 U 112/19 –, Rn. 41, juris). Dabei verkennt der Senat entgegen dem Einwand in der Gegenerklärung nicht, dass die bloße jahrelange Durchführung des Vertrages im Allgemeinen (etwa Prämienzahlung, schlichte Anfragen zum Umfang des Versicherungsschutzes, Ausübung vereinbarter Optionen), grundsätzlich nicht als „gravierender Umstand“ in diesem Sinne angesehen werden (vergl. KG, Senatsbeschluss vom 22. Mai 2020 – 6 U 112/19 –, Rn. 40, juris). Der Entscheidung des Senats liegt vielmehr die Prüfung zugrunde, ob das Verhalten des Versicherungsnehmers einen Schluss darauf zulässt, dass er auch bei Kenntnis des Widerspruchsrechts – hier: der tatsächlich geringfügigeren Formanforderungen – an dem Versicherungsvertrag festgehalten und von dem ihm zustehenden Widerspruchsrecht keinen Gebrauch gemacht hätte (zu dem Kriterium BGH, Urteil vom 27.1.2016 – IV ZR 488/14 Rn. 20; auch vergl. KG, Senatsbeschluss vom 22.05.2020 – 6 U 112/19 –, Rn. 39, juris). Diese Frage beantwortet der Senat auch in Ansehung der Einwände der Klägerin im Sinne des Hinweises vom 23.03.2021, weil er davon ausgeht, dass das Verhalten der Klägerin ihr Interesse am Fortbestand bzw. der Wirksamkeit des Vertrages zum Ausdruck gebracht hat. Denn angesichts des hier vorliegenden Fehlers der Belehrung einerseits und der wirtschaftlichen Tragweite des Vertrages andererseits ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin, hätte sie nur um die tatsächlich ausreichende Textform gewusst, sich kurzerhand durch Absenden einer E-Mail oder etwa einer Nachricht im Kontaktformular der Homepage der Beklagten frühzeitig von einem Vertrag gelöst hätte, der ihr bei näherer Betrachtung von Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen als nachteilig erschienen wäre. Wäre dies der Fall gewesen, hätte sie sich durch den mit Einhaltung der Schriftform des § 126 BGB einhergehenden geringen Mehraufwand, nämlich die Anfertigung und Absendung eines Schreibens mit eigenhändiger Unterschrift, von der Wahrnehmung des Widerspruchsrechts nicht abhalten lassen. Dabei mag es durchaus sein, dass bei der Ausschöpfung der Frist die Nutzung der Textform vorteilhaft sein kann und der Nachweis der Absendung etwa im Falle eines Telefaxschreibens oder einer E-Mail auch durch einen Sendebericht oder eine – in diesem Falle allerdings von dem Versicherer aktiv auszulösenden – Empfangsbestätigung geführt werden kann. Entscheidend ist jedoch, dass dieser formale Unterschied der Klägerin nicht die Möglichkeit genommen hat, ihr Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter den selben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Verfasst der Erklärende eine E-Mail an den Empfänger, liegt der Mehraufwand, sofern die Wirksamkeit von Willenserklärungen Schriftform verlangt, lediglich darin, diese (auf dem Computer erstellten) Erklärungen auszudrucken und zu unterschreiben, um sie dann an den Empfänger auf konventionellem Wege zu übermitteln (sog. „Medienbruch“, vergl. MüKoBGB/Einsele, 8. Aufl. 2018, BGB § 126 Rn. 2). Die Schriftform dient im rechtsgeschäftlichen Verkehr dem Schutz vor Übereilung, aber auch dem Klarheits- und Beweissicherungsinteresse der Parteien bzw. Dritter (vergl. MüKoBGB/Einsele, 8. Aufl. 2018, BGB § 126 Rn. 1), und damit auch dem Schutz des Versicherungsnehmers. Trotz verbreiteter Möglichkeit der Kommunikation in Textform ist gerade dann, wenn rechtserhebliche Erklärungen abgegeben werden, die Schriftform eine gebräuchliche und effektive Mitteilungsform und stellt daher auch kein derart beträchtliches Hindernis dar, dass die effektive Möglichkeit der Wahrnehmung des Lösungsrechts dadurch maßgeblich eingeschränkt wäre.

III.

24. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO. Der Streitwert für das Berufungsverfahren ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1 S. 1, 48 GKG.

IV.

25. Die Revision ist nicht zuzulassen. Auch die Erwägungen in der Gegenerklärung geben hierzu, wie zuvor dargestellt, keinen Anlass. Die Entscheidung beruht auf den besonderen Umständen des vorliegenden Einzelfalls. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichtes. In der Revisionsinstanz werden nur Rechtsfehler überprüft; Fragen der tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall, wie sie im vorliegenden Urteil streitentscheidend sind, sind hingegen der Revision nicht zugänglich (vergl. etwa KG Senatsurteil vom 31.01.2017, 6 U 30/16, Rn. 30 juris). Die entscheidungserhebliche Frage, ob auf Grund der Umstände des Einzelfalles die Ausübung des Widerspruchsrechts rechtsmissbräuchlich ist, betrifft keine grundsätzlich zu klärende Rechtsfrage, sondern unterliegt im konkreten Einzelfall tatrichterlicher Beurteilung. Diese kann auch bei gleich gelagerten Sachverhalten unterschiedlich ausfallen, ohne dass dies revisionsrechtlich zu beanstanden wäre.

Zuletzt aktualisiert am Juli 21, 2021 von eurogesetze

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