Gericht: VG Berlin 1. Kammer
Entscheidungsdatum: 04.06.2021
Aktenzeichen: 1 L 285/21
ECLI: ECLI:DE:VGBE:2021:0604.1L285.21.00
Dokumenttyp: Beschluss
Tenor
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
1. Der Antrag,
2. den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu verpflichten, eine Genehmigung für das Aufhängen von 85 doppelseitigen Plakaten der Größe DIN A1 an Laternenmasten im Bereich
3. – Grunewaldstraße 3-11, 12163/12165 Berlin
– Albrechtstraße 1-87, 12165/12167 Berlin
– Schloßstraße 31-34, 12163 Berlin
– Schloßstraße 82-84 bis 46, 12165 Berlin,
– Steglitzer Damm 1-128, 12169 Berlin,
– Halskestraße 32-47, 12167 Berlin
– Siemensstraße 1-17, 12247 Berlin
– Leonorenstraße 17-102, 12247 Berlin
– Hanna-Renate-Laurien-Platz 1, 12247 Berlin
– Kaiser-Wilhelm-Straße 81a-93, 12247 Berlin
– Paul-Schneider-Straße 1-47, 12247 Berlin
– Kaiser-Wilhelm-Straße 76-78 bis 63, 12247 Berlin
4. für den Zeitraum 4. Juni 2021 bis 18. Juni 2021 zu erteilen,
5. hat keinen Erfolg. Der zulässige Antrag ist unbegründet, denn der Antragsteller hat das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).
6. Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor der Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Abordnungen sind auch in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. Dabei sind sowohl der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht, als auch der Anordnungsgrund, der insbesondere die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung begründet, glaubhaft zu machen. Vorliegend fehlt es bereits an einem Anordnungsanspruch. Nach im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotener summarischer Prüfung hat der Antragsteller keinen Anspruch auf Erteilung der von ihm begehrten Sondernutzungserlaubnis.
7. Ein Anspruch des Antragstellers auf die begehrte Sondernutzungserlaubnis (zur Genehmigungspflicht des Aufstellens von Werbeplakaten mit politischen Informationen im öffentlichen Verkehrsraum siehe nur Herber, in: Kodal, Handbuch Straßenrecht, 8. Auflage 2021, Kap. 26, Rn. 115) richtet sich nach §§ 11 Abs. 1, 2 BerlStrG, gegebenenfalls in Verbindung mit § 13 BerlStrG und § 46 StVO (Beschluss der Kammer vom 30. August 2011 – VG 1 L 285.11, juris Rn. 8).
8. Außer Frage steht und zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten ist, dass sich die Erteilung der von dem Antragsteller begehrten Sondernutzungserlaubnis nicht nach § 11 Abs. 2 a BerlStrG richtet. Nach Satz 1 dieser durch das Erste Gesetz zur Änderung des Berliner Straßengesetzes vom 4. Dezember 2008 (GVBl. S. 466) eingefügten Vorschrift sind Werbeanlagen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit Wahlen, Volksentscheiden und Bürgerbegehren stehen, ausschließlich für einen Zeitraum von sieben Wochen vor bis spätestens eine Woche nach dem Wahl- oder Abstimmungstag zu erlauben. Auf diese Privilegierung („sind … zu erlauben“) kann sich der Antragsteller nicht berufen, da die Wahlen zum 20. Deutschen Bundestag, zum 19. Abgeordnetenhaus von Berlin und zu den Bezirksverordnetenversammlungen erst am 26. September 2021 stattfinden.
9. Einschlägig ist allein § 11 Abs. 2 Satz 1 BerlStrG. Danach soll die Erlaubnis in der Regel erteilt werden, wenn überwiegende öffentliche Interessen der Sondernutzung nicht entgegenstehen oder ihnen durch Nebenbestimmungen zur Erlaubnis entsprochen werden kann. Die Entscheidung über die Erteilung der Sondernutzungserlaubnis ist hiernach nicht in das Belieben der zuständigen Behörde gestellt. Erforderlich ist vielmehr stets eine nachvollziehbare Abwägung der zu berücksichtigenden Interessen. Der Begriff der öffentlichen Interessen im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 1 BerlStrG umfasst über den engen straßen(verkehrs)rechtlichen Bezug hinausgehende öffentliche Belange. Eine Beschränkung allein auf straßenbezogene öffentliche Interessen enthält das 2005 geänderte Berliner Straßengesetz durch den Wegfall der „insbesondere“-Aufzählungen nicht (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 3. November 2011 – OVG 1 B 65.10, juris Rn. 19 ff.). Dies hätte angesichts der Gesetzeshistorie, wonach sich das Recht der Sondernutzungserlaubnisse im Berliner Straßengesetz durch die Benennung auch straßenferner Belange schon immer von den Regelungen anderer Bundesländer unterschied, einer deutlichen Klarstellung durch den Gesetzgeber bedurft. Zudem hat der Gesetzgeber mit dem Ersten Gesetz zur Änderung des Berliner Straßengesetzes vom 4. Dezember 2008 (GVBl. S. 466) mit § 11 Abs. 2a BerlStrG betreffend Werbeanlagen, die im Zusammenhang mit einer grundrechtlich besonders geschützten Sondernutzung, z.B. aus Anlass von Wahlkämpfen, stehen, die Relevanz sonstiger öffentlicher Interessen geregelt, wie den Schutz des Stadt- und Ortsbildes sowie von Orten mit städtebaulich, denkmalpflegerisch, kulturell oder historisch herausragender überregionaler Bedeutung. Das wäre nicht erforderlich gewesen, wenn er davon ausgegangen wäre, dass ohnehin nur noch straßen- und widmungsrechtliche Belange mit dem Interesse an der Sondernutzung abzuwägen wären (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. März 2021 – OVG 1 S 127/20, S. 3 ff. BA).
10. Ob öffentliche Interessen überwiegen, bedarf einer wertenden Gegenüberstellung der betroffenen öffentlichen Belange mit den schutzwürdigen Interessen des jeweiligen Antragstellers. Dabei ist es den Berliner Bezirken unbenommen, zur Sicherung einer einheitlichen und willkürfreien Genehmigungspraxis generalisierende Festlegungen zu treffen. Den angerufenen Gerichten obliegt die Überprüfung, ob die angestrebte einheitliche Genehmigungspraxis im Einzelfall rechtmäßig oder ob unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben eine abweichende Ermessensentscheidung gefordert ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. März 2021 – OVG 1 S 127/20, S. 4 BA). Der Antragsgegner führt aus, er habe zwar kein verschriftetes Sondernutzungskonzept, aber gleichwohl habe sich eine generalisierende Verwaltungspraxis zum Umgang mit Anträgen auf Genehmigung zum Anbringen von Werbeplakaten an Lichtmasten herausgebildet. Seine Verwaltungspraxis sei restriktiv. Nur ausnahmsweise würde Werbung an Lichtmasten zugelassen für Zirkus- und Jahrmarktveranstaltungen sowie für besondere Veranstaltungen wie z.B. die Lange Nacht der Museen. Es solle verhindert werden, dass das Stadtbild durch fortgesetzte Plakatwerbung an Lichtmasten unterschiedlicher Nutzer beeinträchtigt werde und Fahrzeugführer vom Straßenverkehr abgelenkt würden. Gegen diese generalisierende Festlegung, der folgend der Antragsgegner die Genehmigung für die beantragten Werbeplakate versagt hat, gibt es nichts zu erinnern. Sowohl der Schutz des Stadtbildes als auch die Sicherheit des Straßenverkehrs stellen schutzwürdige öffentliche Belange dar. Dass das Anbringen von 85 Werbeplakaten im Format A1 an Lichtmasten im öffentlichen Straßenraum des Bezirks Steglitz-Zehlendorf über einen Zeitraum von zwei Wochen die genannten öffentlichen Belange berührt, liegt auf der Hand. Denn Sinn und Zweck der Werbeplakate ist es gerade, Aufmerksamkeit zu erregen. Die Veränderung des Stadtbildes und die Erregung der Aufmerksamkeit auch von Fahrzeugführern ist ihnen immanent. Nicht anderes folgt aus dem vom Antragsteller angeführten Beschluss der Kammer vom 30. November 2007. Diese Entscheidung, in der es heißt, dass öffentliche Interessen durch eine nur geringfügige Plakatierung schon im Ansatz kaum berührt werden, erging in Bezug auf das Anbringen von Werbeplakaten an Lichtmasten im Zusammenhang mit einem Volksbegehren. Sie betraf einen nicht verallgemeinerungsfähigen Einzelfall. Denn die Kammer hob – was die Gegenüberstellung der Interessen anging – entscheidend die besondere Bedeutung von Volksbegehren als Mittel direkter Demokratie hervor (Beschluss der Kammer vom 30. November 2007 – VG 1 A 287.07, juris Rn. 12). Da die Zulässigkeit von Werbeanlagen im Zusammenhang u.a. mit Volksbegehren jedoch nunmehr jedoch spezialgesetzlich in § 11 Abs. 2a BerlStrG geregelt ist, können die Aussagen des Beschlusses nicht zur Entscheidung über den hier gestellten Antrag fruchtbar gemacht werden. Vielmehr ist anerkannt, dass politische Werbung auch angesichts der Bedeutung des Parteienprivilegs (Art. 21 GG) außerhalb der „heißen“ Wahlkampfphase, die nach § 11 Abs. 2a BerlStrG sieben Wochen vor dem Wahl- oder Abstimmungstag beginnt, den für alle Straßennutzer geltenden Reglementierungen des Straßenrechts unterfällt (siehe hierzu näher Urteil der Kammer vom 24. August 2020 – 1 K 11.18, juris Rn. 25; vgl. auch VG München, Beschluss vom 24. Oktober 2007 – M 22 S 07.4730, juris Rn. 35 ff.).
11. Es ist auch davon auszugehen, dass der Antragsgegner die restriktive Genehmigungspraxis in Bezug auf das Anbringen von Werbeplakaten an Lichtmasten einheitlich und willkürfrei ausübt. Aus dem Umstand, dass der Antragsgegner dem Antragsteller am 26. Februar 2021 eine Sondernutzungserlaubnis für das Anbringen von 40 Werbeplakaten im Format DIN A1 an Laternenmasten erteilte, folgt nichts Gegenteiliges. Es ist nach Durchsicht des Verwaltungsvorgangs davon auszugehen, dass es sich dabei um einen Einzelfall handelte, der nicht geeignet ist, ein systematisches Hinwegsetzen über die behördlichen Ziele erkennen zu lassen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. Mai 2018 – OVG 1 N 23.18, S. 4 BA und Beschluss vom 16. Februar 2021 – OVG 1 N 97.20, S. 3 BA). Selbst wenn man dies anders sähe, gilt, dass der Antragsgegner – wie er in seiner Antragserwiderung (dort S. 7 unten) bekräftigte – wieder zu seiner restriktiven Verwaltungspraxis zurückgekehrt ist. Es steht ihm frei, seine Verwaltungspraxis zu ändern, um auf ausgemachte Missstände zu reagieren, sofern er sich dabei innerhalb der durch das Berliner Straßengesetz gesetzten Grenzen bewegt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Februar 2021 – OVG 1 N 97.20, S. 2 BA). Im Hinblick auf die sich sehr schnell ändernden Verkehrsverhältnisse besteht kein Vertrauen in die künftige Beibehaltung einer etablierten Verwaltungspraxis (vgl. Herber, in: Kodal, Handbuch Straßenrecht, 8. Auflage 2021, Kap. 26, Rn. 20).
12. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung auf §§ 39 ff., 52 f. GKG. Aufgrund der faktischen Vorwegnahme der Hauptsache ist eine Reduzierung auf den hälftigen Auffangstreitwert nicht angezeigt.
Zuletzt aktualisiert am Juli 21, 2021 von eurogesetze
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