Verletzung der Menschenwürde durch die Forderung nach Erhalt des deutschen Volkes in seiner ethno-kulturellen Identität

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg 1. Senat
Entscheidungsdatum: 23.06.2021
Aktenzeichen: OVG 1 N 96/20
ECLI: ECLI:DE:OVGBEBB:2021:0623.OVG1N96.20.00
Dokumenttyp: Beschluss

Verletzung der Menschenwürde durch die Forderung nach Erhalt des deutschen Volkes in seiner ethno-kulturellen Identität

Leitsatz

1. Der Forderung nach dem Erhalt des deutschen Volkes in seiner ethno-kulturellen Identität (sog. Ethnopluralismus) liegt der Sache nach ein völkisch-abstammungsmäßiger Volksbegriff zu Grunde. Ein solcher Volksbegriff verstößt gegen die Menschenwürde, denn Art 1 Abs 1 GG umfasst die prinzipielle Gleichheit aller Menschen, ungeachtet aller tatsächlich bestehenden Unterschiede.(Rn.9)

2. Die Behauptung, dass bereits eingetretene Änderungen des deutschen Staatsvolkes akzeptiert würden und der erlangte Rechtsstatus deutscher Staatsangehöriger anderer ethnischer Zugehörigkeit unverändert bleiben solle, führt zu keiner abweichenden Bewertung (siehe 1.). Völkisch-abstammungsmäßige und rassistische Kriterien verstoßen auch dann gegen die Menschenwürde, wenn sie nicht absolut gelten sollen (vgl. bereits OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 19. Juni 2020 – OVG 1 S 55/20 u.a. -).(Rn.13)

Verfahrensgang …
Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. November 2020 wird abgelehnt.

Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt der Kläger.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1. I. Der Kläger wendet sich gegen die Berichterstattung über ihn in den Verfassungsschutzberichten (VSB) des Bundes in den Jahren 2016 bis 2019.

2. Das Verwaltungsgericht Berlin hat seine Klage auf Unterlassung der weiteren Verbreitung dieser Berichte in Bezug auf den Kläger sowie die entsprechende Richtigstellung im nächsten Verfassungsschutzbericht mit Urteil vom 12. November 2020 abgewiesen, weil die Berichterstattung auf der Grundlage von § 16 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz – BVerfSchG) gerechtfertigt sei. Nach dieser Norm informiert das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat die Öffentlichkeit über die Bestrebungen und Tätigkeiten nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG, soweit hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte hierfür vorliegen, mindestens einmal jährlich in einem zusammenfassenden Bericht insbesondere zu aktuellen Entwicklungen.

3. II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil keiner der in § 124 Abs. 2 VwGO enumerativ genannten und von der Zulassungsbegründung angeführten Zulassungsgründe dargelegt ist und vorliegt.

4. 1. Nach dem für die Prüfung des Senats gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO maßgeblichen Zulassungsvorbringen ist die Richtigkeit des angegriffenen Urteils nicht ernstlich zweifelhaft im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit eines Urteils bestehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird, so dass auch die Richtigkeit des Entscheidungsergebnisses derartigen Zweifeln unterliegt. Hierzu muss sich die Zulassungsbegründung mit den tragenden Erwägungen des angegriffenen Urteils auseinandersetzen und darlegen, warum diese im Ergebnis nicht tragfähig sind. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

5. a. Die im angegriffenen Urteil (S. 7 – 9) zugrunde gelegten Maßgaben für die Anwendung des § 16 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG (vgl. dazu jüngst Senatsbeschluss vom 19. Juni 2020 – OVG 1 S 55/20 u.a. – juris Rn. 31 ff.) stellt die Zulassungsbegründung ebenso wenig in Frage wie die vom Verwaltungsgericht zitierten Äußerungen des Klägers. Dieser wendet sich – wenngleich im Wesentlichen zur Darlegung des Zulassungsgrunds gemäß § 124 Abs. 2Nr. 2 VwGO – gegen die Erwägung im angegriffenen Urteil (S. 10), dass der von ihm vertretene ethnisch-kulturelle Volksbegriff nicht erst dann gegen die Menschenwürde verstoße, „wenn er dazu führt, dass deutsche Staatsangehörige nach ethnischen Gesichtspunkten ungleich behandelt werden“, sowie dagegen, dass seine Forderung nach dem Erhalt der ethnokulturellen Identität nicht erst dann verfassungsfeindlich sei, wenn sie die Ausgrenzung und Diskriminierung ethnisch nichtdeutscher Staatsangehöriger bedeute. Er meint, das Gericht habe keine Begründung dafür gegeben, dass der ethnisch-kulturelle Volksbegriff, den er gerade nicht extensional mit dem Begriff des deutschen Staatsvolkes identifiziere, zu einer Klassifizierung deutscher Staatsangehöriger in solche erster und zweiter Klasse oder zu rassisch motivierter Diskriminierung oder dazu führe, dass „einzelne Personen oder Personengruppen grundsätzlich wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden“ (VG-Urteil, S. 9). Auch die Annahme des Gerichts, diese Bewertung folge aus der Vorstellung des Klägers, dass es ein deutsches Volk im ethnischen Verständnis jenseits der Gesamtheit der deutschen Staatsangehörigen gebe, entbehre einer Begründung. Entgegen der Würdigung des Gerichts sei der Vortrag des Klägers nicht unbeachtlich, dass er die bereits eingetretenen Veränderungen des deutschen Staatsvolkes akzeptiere, also am Rechtsstatus von Personen, die bereits die deutsche Staatsangehörigkeit besäßen, nichts ändern wolle. Die Würdigung der rechtlichen Unbeachtlichkeit seines Vortrags sei angesichts der Feststellung des Gerichts widersprüchlich, dass es ihm darum gehe, (nur) das Zuwanderungs- und Staatsangehörigkeitsrecht in Zukunft an seinem Ziel des Erhalts des deutschen Volkes in seinem ethnischen Bestand ausrichten.

6. Das Gericht könne sich nicht auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 2017 – BVerfG 2 BvB 1/13 – (Rn. 635 ff. <688 ff.>) berufen, da es sich auf einen anderen Sachverhalt (NPD-Verbot) beziehe und zur Begründung des angegriffenen Urteils nichts beitragen könne. Die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts, wonach Art. 116 Abs. 1 GG nicht dazu führe, dass der Volksbegriff des Grundgesetzes sich vor allem oder auch nur überwiegend nach ethnischen Zuordnungen bestimme, sei (nur) gegen die Forderung der NPD gerichtet, das deutsche Staatsvolk mit dem ethnisch deutschen Volk zu identifizieren. Dies sei aber nicht die Position des Klägers, der – anders als die NPD – die bereits eingetretenen Veränderungen des deutschen Staatsvolkes und damit die klare und eindeutige Regelung des Art. 116 GG akzeptiere. Anders als die NPD fordere der Kläger nicht den Ausschluss ethnisch Nichtdeutscher aus der staatlichen Gemeinschaft trotz formaler Gleichheit qua deutscher Staatsangehörigkeit; denn dies sei mit der Garantie der Menschenwürde unvereinbar. Abweichend von der Position der NPD definiere der Kläger das deutsche Volk nicht „durch die Ethnie“.

7. b. Das Vorbringen greift nicht durch.

8. Die Zulassungsbegründung zeigt keine ernstlichen Richtigkeitszweifel an der Feststellung des Verwaltungsgerichts auf, dass es sich bei dem Kläger um einen Personenzusammenschluss handele, bei dem tatsächliche Anhaltspunkte von hinreichendem Gewicht für Bestrebungen vorhanden seien, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richteten, so dass die Tatbestandsvoraussetzung des § 16 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG vorlägen.

9. aa. Die Annahme des Verwaltungsgerichts (Urteil, S. 9 ff.) wird nicht beanstandet, wonach das zentrale politische Anliegen des Klägers der Erhalt des deutschen Volkes in seiner ethnisch-kulturellen Identität sei, womit seinem politischen Programm zwar nicht ausdrücklich, aber der Sache nach ein völkisch-abstammungsmäßiger Volksbegriff zugrunde liege, den er explizit im Grundgesetz verankert sehen wolle. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, verstößt der vom Kläger vertretene Volksbegriff gegen die Menschenwürde, denn Art. 1 Abs. 1 GG umfasst die prinzipielle Gleichheit aller Menschen, ungeachtet aller tatsächlich bestehenden Unterschiede. Der ethnopluralistische Ansatz des Klägers lehnt diese Gleichheit grundsätzlich ab. Seine zentrale politische Forderung besteht – ebenso wie bei der „Junge(n) Alternative für Deutschland“ der AfD (JA) und dem sog. „Flügel“ der AFD – darin, „das deutsche Volkes in seinem ethnischen Bestand zu erhalten … und (dass) ethnisch `Fremde` nach Möglichkeit ausgeschlossen bleiben sollen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. Juni 2020 – OVG 1 S 55/20 – juris Rn. 31 zur „JA“ sowie vom selben Tage – OVG 1 S 56/20 – juris Rn. 29 zum sog. Flügel, jeweils Bezug nehmend auf die Gründe der Beschlüsse des VG Berlin vom 28. Mai 2020 – 1 L 95/20 und 1 L 97/20 -). Von daher passt es ins Bild, dass der Verfassungsschutzbericht des Bundes 2019 (S. 88 f.) von „fortbestehenden Verbindungen“ der „JA“ zum Kläger ausgeht.

10. Die im Zentrum der Propaganda des Klägers stehenden Narrative des „Ethnopluralismus“ und eines „Großen Austausches“ (des Volkes) gehen von einer vorgeblich vorherrschenden ethno-kulturellen Identität (nicht nur) des deutschen Volkes aus, die durch die „illegale Massenmigration“ ethnisch fremder Menschen und durch die „Islamisierung“ bedroht sei (vgl. https://originem.info/gemeinschaft-als-voraussetzung-einer-demokratie-teil-2/). Damit propagiert der Kläger die Forderung nach räumlicher und kultureller Trennung unterschiedlicher Ethnien, namentlich von solchen, die den ethno-kulturellen Kriterien des Klägers nicht entsprechen, und offenbart damit eine migrantenfeindliche Grundhaltung, was auch in der Forderung nach „Remigration“ zum Ausdruck kommt (ebenso VGH München, Beschluss vom 28. Februar 2020 – 10 CE 19.2517 – juris Rn. 17 unter Hinweis auf Verfassungsschutzbericht Bayern 2018, S. 156 f. <158>). Zudem agiert der Kläger kontinuierlich gegen Ausländer, vornehmlich gegen solche muslimischen Glaubens, diffamiert sie pauschal und macht sie verächtlich, was nach Ansicht der erkennenden Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin (vgl. Urteil, S. 13 unter Hinweis auf ihr Urteil vom 21. Januar 2016 – VG 1 K 255.13 – juris Rn. 76 m.w.N.) gegen die grundgesetzlich geschützte Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) verstoße (vgl. ebenso Senatsbeschluss vom 19. Juni 2020 – OVG 1 S 55/20 u.a. – juris Rn. 37 zur „JA“). Auch hiergegen bringt die Zulassungsbegründung nichts vor.

11. Soweit der Kläger eine Begründung des Verwaltungsgerichts dafür vermisst, dass der von ihm beworbene „ethnisch-kulturelle Volksbegriff“ zu einer nicht verfassungskonformen, rassisch motivierten und damit gleichheitswidrigen Diskriminierung führe (VG-Urteil, S. 9 f.), weil einzelne Personen oder Personengruppen damit grundsätzlich wie Menschen zweiter Klasse behandelt würden, trifft dies nicht zu (s.o.). Andere als vom Kläger akzeptierte „Ethnien“ passen nicht in sein Idealbild des deutschen Volkes, so dass diese Menschen dadurch – ungeachtet ihrer angeblich statusmäßig unangetastet bleibenden Volkszugehörigkeit – ausgegrenzt und diskriminiert werden. Der behauptete „große Austausch“ der Bevölkerung ist in Wortwahl, Diktion und Inhalt erkennbar darauf gerichtet, Asylbewerbern und Migranten ihre Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) abzusprechen (zu inhaltlich vergleichbaren Aussagen ebenso: BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvR 1/13 – juris Rn. 721). Auch dies hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Juni 2020 – OVG 1 S 55/20 – juris Rn. 37 zur „JA“).

12. bb. Soweit der Kläger meint, sein Fall liege allein deswegen anders, weshalb der von ihm vertretene „Ethnopluralismus“ nicht gegen die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) verstoße, weil er „die bereits eingetretenen Veränderungen des deutschen Staatsvolkes“ akzeptiere, so begründet auch dies keine ernstlichen Richtigkeitszweifel i.S.v.§ 124 Abs. 2Nr. 1 VwGO.

13. Das Verwaltungsgericht ist der auf Murswiek (Verfassungsschutz und Demokratie, S. 168 f.) zurückgehenden These, dass die politische Forderung nach dem Erhalt der ethnokulturellen Identität des Deutschen Volkes erst dann verfassungswidrig sei, wenn sie die rechtliche Ausgrenzung und Diskriminierung deutscher Staatsangehöriger anderer ethnischer Zugehörigkeit bedeute, zu Recht nicht gefolgt; denn völkisch-abstammungsmäßige und rassistische Kriterien verstoßen auch dann gegen Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, wenn sie nicht absolut gelten und es Ausnahmen geben soll (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. Juni 2020 – OVG 1 S 55/20 u.a. – juris Rn. 37 a.E. zur „JA“ sowie vom selben Tage – OVG 1 S 56/20 – juris Rn. 38 zum sog. „Flügel“). Entscheidend ist die insgesamt verfolgte, objektiv erkennbare Zielrichtung des Klägers, wie sie sich in der Zusammenschau der Beobachtungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz darstellt (vgl. nur VSB 2019, S. 90 ff.), gegen die der Kläger für sich genommen nichts einwendet. Vielmehr stellt er der Würdigung des Verwaltungsgerichts lediglich seine rechtlich abweichende Meinung gegenüber.

14. Damit können ernstliche Zweifel jedoch nicht belegt werden. Wird im Rahmen eines Zulassungsantrags eine fehlerhafte Würdigung der Umstände des Einzelfalls durch das Verwaltungsgericht gerügt, so sind die Voraussetzungen des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur erfüllt, wenn die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts augenscheinlich nicht zutreffen oder beispielsweise wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind. Allein die Möglichkeit einer anderen Bewertung rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht (stRspr. des OVG Berlin-Brandenburg, vgl. nur Beschluss vom 30. April 2012 – OVG 2 N 16.11 – juris Rn. 3). Unabhängig davon ist die Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts nicht widersprüchlich, sondern folgerichtig, dass der Hinweis des Klägers, er akzeptiere die bereits eingetretenen Veränderungen des deutschen Staatsvolkes, wolle also am Rechtsstatus von Personen, die bereits deutsche Staatsangehörige seien, nichts verändern, rechtlich unbeachtlich sei.

15. cc. Das Verwaltungsgericht hat auch zweifelsfrei erkannt, dass der Begriff des Staatsvolks der Bundesrepublik Deutschland im Grundgesetz nach der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts identisch mit dem deutschen Volk im Sinne von Art. 116 Abs. 1 GG sei. Deshalb sei es nicht verfassungskonform, wenn der Kläger für das „Staatsvolk“ auf die Staatsangehörigkeit und für das „deutsche Volk“ auf die ethnische Zugehörigkeit abstellen wolle. Hierfür hat sich das Gericht beanstandungsfrei das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 2017 – BVerfG 2 BvB 1/13 – (juris) gestützt. Dass sich dieses Urteil auf einen anderen Sachverhalt (NPD-Verbotsverfahren) beziehe, hat das Verwaltungsgericht zu Recht nicht daran gehindert, fallübergreifende Aussagen des Bundesverfassungsgerichts, die auch auf den Kläger zutreffen, zur Begründung heranzuziehen. Die Zulassungsbegründung legt nicht dar, dass die auf die politischen Forderungen des Klägers übertragbaren Aussagen des Bundesverfassungsgerichts, wonach das Grundgesetz „einen ausschließlich an ethnischen Kategorien orientierten Begriff des Volkes nicht“ kenne, ethnischen Zuordnungen bei der Bestimmung des „Volkes“ im Sinne des Grundgesetzes keine exkludierende Bedeutung zukomme und Art. 116 Abs. 1 GG nicht dazu führe, dass der Volksbegriff des Grundgesetzes (BVerfG, a.a.O., Rn. 690 ff.) sich vor allem oder auch nur überwiegend nach ethnischen Zuordnungen bestimmt und nicht darauf gerichtet sei, das deutsche Staatsvolk mit dem ethnisch deutschen Volk zu identifizieren, nur in Bezug auf die politischen Vorstellungen NPD gelten sollen. Dass der Kläger – anders als die auch nach seiner Ansicht mit der Garantie der Menschenwürde unvereinbaren Positionen der NPD – die bereits eingetretenen Veränderungen des deutschen Staatsvolkes und damit die klare und eindeutige Regelung des Art. 116 GG akzeptieren wolle, überzeugt nicht. Dass er das deutsche Volk nicht „durch die Ethnie“ definiere, erschließt sich angesichts des für den Kläger zentralen Begriffs des „Ethnopluralismus“ und der „ethnokulturellen Identität“ nicht. Von daher wird die Feststellung des Verwaltungsgerichts nicht in Zweifel gezogen, dass die Ideologie des Klägers in der Gesamtschau auf eine unveränderliche, da auf ethnischer Herkunft beruhenden Klassifizierung deutscher Staatsangehöriger in solche erster und solche zweiter Klasse hinauslaufe, weil es nach seinen Vorstellungen ein deutsches Volk im ethnischen Verständnis des Wortes jenseits der Gesamtheit der deutschen Staatsangehörigen gebe, was allein die verfassungsfeindliche Zielrichtung des Klägers belege (vgl. bereits Senatsbeschluss vom 19. Juni 2020 – OVG 1 S 55/20 u.a. – juris Rn. 36; in diese Richtung auch VG München, Beschluss vom 27. Juli 2017- M 22 E 17.1861 – juris Rn. 67 ff.).

16. 2. Die Berufung ist auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten zuzulassen. Dieser Zulassungsgrund setzt eine solche qualifizierte Schwierigkeit der Rechtssache mit Auswirkung auf die Einschätzung der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung voraus, dass sie sich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht signifikant von dem Spektrum der in verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu entscheidenden Streitfällen unterscheidet. Diese Anforderungen sind erfüllt, wenn aufgrund des Zulassungsvorbringens keine Prognose über den Erfolg des Rechtsmittels getroffen werden kann, dieser vielmehr als offen bezeichnet werden muss. Dass dies vorliegend nicht der Fall ist, ergibt sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen zu 1., wonach die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht vorliegen.

17. Entgegen der Ansicht der Zulassungsbegründung liegen besondere, weit über das Normalmaß reichende Schwierigkeiten nicht deshalb vor, weil im Kern Fragen des Regelungsumfangs und der Regelungsintensität von Art. 1 Abs. 1 GG im Zusammenspiel mit der Grundentscheidung des Verfassungsgebers für den Nationalstaat inmitten stünden, die zuvor noch nicht in der ihnen gebührenden Ausführlichkeit behandelt und vor allem nicht in dieser Weise entschieden worden seien. Vielmehr lassen sich die hier streitentscheidenden Rechtsfragen (wie unter 1. gezeigt) ohne weiteres im Zulassungsvorbringen beantworten. Die angebliche Doppeldeutigkeit des Wortes „Volk“ belegt das Vorliegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten i.S.v. § 124 Abs. 2Nr. 2 VwGO ebenfalls nicht. Die „Doppeldeutigkeit“ eines Rechtsbegriffs stellt im Regelfall – wie auch hier – keine besondere Schwierigkeit dar. Soweit die Zulassungsbegründung meint, das Verwaltungsgericht habe sich zu Unrecht auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 – berufen, werden ernstliche Richtigkeitszweifel geltend gemacht, die weder dargelegt sind noch vorliegen (siehe 1.).

18. 3. Der Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist ebenfalls nicht dargelegt. Die Voraussetzungen dieses Zulassungsgrundes liegen nur dann vor, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine grundsätzliche, bisher in der Rechtsprechung noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung war, die auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich ist und deren Klärung im Interesse einer einheitlichen Rechtsanwendung oder der Fortbildung des Rechts geboten erscheint (stRspr.). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

19. Die Rechtsfragen zum grundgesetzlichen Volksbegriff und zur Menschenwürdewidrigkeit eines völkisch-abstammungsmäßigen, an ethnische Kriterien anknüpfenden Volksbegriffs sind (nicht nur) in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (s.o.) hinreichend geklärt. Auch der beschließende Senat hat sich mit den sich hier stellenden Rechtsfragen zur öffentlichen Bekanntmachung von Beobachtungen durch das Bundesamt für Verfassungsschutz in Bezug auf die Nennung des sog. „Flügels“ und der „JA“ im Verfassungsschutzbericht des Bundes für das Jahr 2019 – wenngleich in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes – ausführlich befasst (vgl. Beschlüsse vom 19. Juni 2020, a.a.O.). Der Kläger zeigt nicht auf, welche weitere Klärung, die im Interesse einer einheitlichen Rechtsanwendung oder der Fortbildung des Rechts rechtsgrundsätzlich geboten sein muss, bei einer Zulassung der Berufung noch zu erwarten wäre, sondern verliert sich in allgemeinen Erwägungen.

20. Soweit eine über den vorliegenden Fall hinausreichende grundsätzliche Bedeutung hinsichtlich der angeblichen Verfassungsfeindlichkeit des ethnisch-kulturellen Volksbegriffs in den Verfassungsschutzberichten auch für Teile der AFD (gemeint ist der sog. „Flügel“) und die „JA“ behauptet wird, haben diese ihre Klagen – VG 1 K 96/20 und VG 1 K 98/20 – jeweils im August 2020 zurückgenommen. Inwieweit das vorliegende Verfahren in dem Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln etwas Grundsätzliches beitragen kann, legt die Zulassungsbegründung nicht dar. Das in juris und beck-online allein ersichtliche Eilverfahren (vgl. VG Köln, Beschluss vom 25. September 2019 – 13 L 1667/19 -; nachgehend OVG Münster, Beschluss vom 23. Juli 2020 – 5 B 1391/19 -) betrifft einen anderen Streitgegenstand. Soweit der Kläger auf anhängige Verfahren der AFD in Brandenburg gegen die Beobachtung des Landesverbandes durch das Landesamt für Verfassungsschutzes abhebt, hat der Senat zum „Gedankengut des Flügels“ das Erforderliche bereits im Beschluss vom 19. Juni 2020 – OVG 1 S 55/20 – ausgeführt.

21. 4. Der Zulassungsgrund der Divergenz wird ebenfalls nicht ausgefüllt. Eine Divergenz im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO setzt voraus, dass das Verwaltungsgericht in dem angegriffenen Urteil einen inhaltlich bestimmten, das Urteil tragenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, der von einem ebenfalls tragenden Rechtssatz der in § 124 Abs. 1Satz 4 VwGO enumerativ aufgeführten Gerichte widerspricht, oder wenn das Instanzgericht einen im zu entscheidenden Fall erheblichen Rechtssatz der vorgenannten Gerichte nicht anwendet, weil es ihn für unrichtig hält. Eine Divergenz liegt demgegenüber nicht vor, wenn das Instanzgericht einen solchen Rechtssatz im Einzelfall rechtsfehlerhaft anwendet bzw. nicht anwendet oder daraus nicht die geboten rechtlichen Folgerungen zieht (stRspr).

22. Entgegen der Ansicht des Klägers ist das Verwaltungsgericht nicht von einem tragenden Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 18. Mai 2001 – 2 WD 42.00 u.a. – BVerwGE 114, 258 ff.) abgewichen. In jenem Disziplinarverfahren ging es um einen Soldaten, dem seine Betätigung für die Partei „Die Republikaner“ vorgeworfen wurde, und damit sowohl um einen anderen Streitgegenstand als auch um eine gänzlich andere Verfahrensart. Unabhängig davon benennt die Zulassungsbegründung keinen tragenden Rechtssatz des Verwaltungsgerichts, der von einem ebenfalls tragenden Rechtssatz im vorstehenden Urteil des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen wäre. Dass es in beiden Verfahren angeblich um politisch vergleichbare Zielsetzungen des Klägers und der Partei der „Republikaner“ gehe, namentlich die Wahrung der geschichtlich gewachsenen nationalen Identität und eine zu verhindernde multi-ethnische, multikulturelle Gesellschaft, genügt für die Darlegung einer Divergenz i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht. Abgesehen davon hat das Bundesverwaltungsgericht zwar die politischen Forderungen der „Republikaner“ nach einer Begrenzung von Zuwanderung und Einbürgerung anhand von politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkten letztlich unbeanstandet gelassen, jedoch keine nach ethnischen Aspekten auswählende Einbürgerungspolitik gutgeheißen. Das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O., juris Rn. 39) hat vielmehr betont, dass die herabsetzende Äußerung über ein Kollektiv, wenn diese an ethnische, rassische, körperliche oder geistige Merkmale anknüpfe, aus denen die Minderwertigkeit einer ganzen Personengruppe und damit zugleich jedes einzelnen Angehörigen abgeleitet werde, dafür spreche, dass die betroffenen Personen diffamiert werden sollten. In einer jüngst ergangenen Eilentscheidung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. August 2020 – 1 WDS-VR 9/20 – juris Rn. 5 und 30), in dem der betroffene Soldat nach Erkenntnissen des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst „dem neurechten Spektrum der Identitären Bewegung“ zuzuordnen sei, hat das Bundesverwaltungsgericht den Anfangsverdacht rechtsextremer Einstellungen des dortigen Antragstellers nicht als ausgeräumt erachtet.

23. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für die verbliebenen Anträge beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

24. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Zuletzt aktualisiert am Juli 19, 2021 von eurogesetze

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