Anspruch auf Fortsetzung des Stellenbesetzungsverfahrens nach dessen Abbruch

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg 4. Senat
Entscheidungsdatum: 30.06.2021
Aktenzeichen: OVG 4 S 17/21
ECLI: ECLI:DE:OVGBEBB:2021:0630.OVG4S17.21.00
Dokumenttyp: Beschluss

Anspruch auf Fortsetzung des Stellenbesetzungsverfahrens nach dessen Abbruch

Leitsatz

1. Wenn das Auswahlverfahren wegen eines Fehlers bei der Ausschreibung abgebrochen werden muss, ist die begehrte Verpflichtung des Dienstherrn, das (rechtswidrige) Stellenbesetzungsverfahren fortzusetzen, von vornherein ausgeschlossen.(Rn.3)

2. In einem solchen Fall ist es unerheblich, dass der Dienstherr das Auswahlverfahren aus einem anderen Grund abgebrochen und nur diesen dem Bewerber mitgeteilt hat.(Rn.7)

Verfahrensgang …
Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 18. März 2021 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerde.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 1 und 3 VwGO), auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses. Gemessen an dem durch das Beschwerdevorbringen begrenzten Prüfungsstoff hat es das Verwaltungsgericht zu Recht abgelehnt, den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, das begonnene Auswahlverfahren zur Besetzung der Stelle mit der Kennziffer 3502 mit dem bestehenden Bewerberkreis unverzüglich fortzuführen.

2. Der Antragsteller wendet sich nicht gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, der Abbruch des Auswahlverfahrens bedürfe eines sachlichen Grundes, der den Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG genüge, weil mit der Ausschreibung auch Bewerber – wie er – angesprochen seien, für die die Zuweisung des ausgeschriebenen Dienstpostens Vorwirkungen auf eine mögliche spätere Vergabe eines Beförderungsamtes hätte. Er beanstandet vielmehr die Ansicht des Verwaltungsgerichts, der Abbruch des Auswahlverfahrens sei rechtmäßig. Dieses hat angenommen, dass ein sachlicher Grund für den Abbruch bestehe, weil das Anforderungsprofil fehlerhaft sei. Dabei könne dahinstehen, ob sich die Fehlerhaftigkeit auch aus den Erwägungen des Antragsgegners zur fehlenden Nennung von Führungserfahrung als zwingender Voraussetzung ergebe. Denn jedenfalls sei das Anforderungsprofil wegen der darin zwingend geforderten Rechts- und Fachkenntnisse fehlerhaft. Zwar sei bei der Prüfung, ob die Gründe für den Abbruch vor Art. 33 Abs. 2 GG Bestand hätten, grundsätzlich allein auf die Erwägungen der Behörde abzustellen. Etwas anderes gelte aber dann, wenn – wie hier – das Auswahlverfahren im Sinne einer Ermessensreduzierung auf Null abgebrochen werden müsse.

3. Die Kritik des Antragstellers, das Verwaltungsgericht könne sich zur Begründung seiner Rechtsansicht nicht auf den hierfür angeführten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Juni 2020 – 2 VR 3.20 – (juris) berufen, trifft nicht zu. Der Antragsteller meint, es fänden „sich in dieser Entscheidung – soweit hier ersichtlich – keine Rechtsausführungen, die einen Abbruch – aus anderen als den in der Abbruchentscheidung genannten Gründen – nachträglich als gerechtfertigt ansehen.“ Anschließend zitiert er aus diesem Beschluss die Textpassage unter Rn. 13. Hierbei übersieht er, dass das Bundesverwaltungsgericht unter Rn. 17 f. ausführt, es werde zu Gunsten der Antragstellerin unterstellt, dass die Ausschreibung nach Maßgabe der Anforderungen des konkreten Dienstpostens zulässig sei. Denn „wäre die Ausschreibung nach diesen Vorgaben – entgegen der Unterstellung – rechtswidrig, hätte das Verfahren – allerdings aus einem anderen Grund als dem, den der BND vorbringt – abgebrochen werden müssen. Gerade wegen dieser Rechtswidrigkeit könnte die Antragsgegnerin nicht im Wege der einstweiligen Anordnung zur Fortsetzung des Auswahlverfahrens verpflichtet werden.“ Der Senat teilt diese Auffassung. Wenn das Auswahlverfahren wegen eines Fehlers bei der Ausschreibung abgebrochen werden muss, ist die begehrte Verpflichtung des Dienstherrn, das (rechtswidrige) Stellenbesetzungsverfahren fortzusetzen, von vornherein ausgeschlossen (vgl. auch OVG Münster, Beschluss vom 13. Mai 2019 – 6 B 1753/18 – juris Rn. 21 f. m.w.N.).

4. Der Antragsteller rügt ferner die Annahme des Verwaltungsgerichts, das Stellenbesetzungsverfahren habe im Sinne einer Ermessensreduzierung auf Null abgebrochen werden müssen. Dabei zieht er die vom Verwaltungsgericht als Ausgangspunkt genannten Maßstäbe für einen materiell rechtmäßigen Abbruch wegen Fehlerhaftigkeit des Anforderungsprofils nicht in Zweifel. Das Verwaltungsgericht hat sich insoweit auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Juni 2013 – 2 VR 1.13 – (juris Rn. 24 ff.) bezogen und angenommen, ein Auswahlverfahren sei, ohne dass insoweit ein Ermessensspielraum des Dienstherrn verbliebe, abzubrechen, wenn das Anforderungsprofil fehlerhaft in dem Sinne sei, dass es keine nach Art. 33 Abs. 2 GG zulässige Auswahlentscheidung zulasse. Da Bezugspunkt der Auswahlentscheidung nach Art. 33 Abs. 2 GG nicht die Funktionsbeschreibung des konkreten Dienstpostens, sondern das angestrebte Statusamt sei, dürfe die Auswahl grundsätzlich nicht anhand der besonderen Anforderungen des aktuell zu besetzenden Dienstpostens vorgenommen werden. Auf einen konkreten Dienstposten bezogene zwingende Anforderungsmerkmale seien nur ausnahmsweise zulässig, wenn die Wahrnehmung der Aufgaben eines Dienstpostens zwingend besondere Kenntnisse oder Fähigkeiten voraussetze, die ein Laufbahnbewerber regelmäßig nicht mitbringe und sich in angemessener Zeit und ohne unzumutbare Beeinträchtigung der Aufgabenwahrnehmung auch nicht verschaffen könne. Diese Voraussetzungen habe der Dienstherr darzulegen; sie unterlägen voller gerichtlicher Kontrolle (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 29. Juli 2020 – 2 VR 3.20 – juris Rn. 18).

5. Der Antragsteller meint, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass es sich bei den vom Antragsgegner im Anforderungsprofil sowie dem Ausschreibungstext als unabdingbar geforderten Fach- und Rechtskenntnissen um zwingende dienstpostenbezogene Vorgaben handele, für die die Voraussetzungen einer zulässigen Ausnahme dargelegt seien. Zur Begründung verweist er darauf, dass der Beschwerdegegner in seiner Antragserwiderung vom 30. Dezember 2020 angeführt habe, es sei Aufgabe des künftigen Stelleninhabers, 24 Dienstkräfte zu führen, die anspruchsvolle und vielfältige Aufgaben zu erfüllen hätten; für einen reibungslosen Ablauf in der Verwaltung seien daher höhere Rechtskenntnisse zwingend erforderlich. Ohne diese würden finanzielle Ressourcen verschwendet, wenn die Stelle durch einen erst noch einzuarbeitenden Bewerber besetzt werde. Diese Erwägungen des Beschwerdegegners machten deutlich, dass im Einzelfall Rechts- und Fachkenntnisse durchaus zwingend bei Dienstantritt vorliegen müssten.

6. Diese Argumentation überzeugt nicht. Insbesondere versäumt es der Antragsteller, sich mit der Würdigung des Verwaltungsgerichts auseinanderzusetzen. Dieses hat ausgeführt, es sei nicht dargelegt oder sonst ersichtlich, dass der zu besetzende Dienstposten die im Anforderungsprofil sowie dem Ausschreibungstext aufgeführten Kenntnisse zwingend bereits bei Dienstantritt erfordere und diese nicht in angemessener Zeit im Rahmen einer Einarbeitung erworben werden könnten. Auch wenn der Fachbereich Wohnen mehrere Rechtsgebiete wie Wohngeld, Bildung und Teilhabe, Kontrolle Wohnungsbindung, Wohnbescheinigungen, Zweckentfremdung sowie Mietendeckel umfasse und die Fachbereichsleitung eine Vielzahl von Dienstkräften anleite, folge hieraus nicht, dass die mit den genannten Rechtsgebieten verbundenen Fach- und Rechtskenntnisse nicht im Rahmen einer Einarbeitung erworben werden könnten. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass ein Bewerber die Aufgaben jedes seinem oder dem nächsthöheren Statusamt zugeordneten Dienstpostens ausfüllen, sich also entsprechend einarbeiten könne. Daraus folge nicht im Umkehrschluss, dass von einem Bewerber nicht erwartet werden könne, sich in angemessener Zeit auch in Aufgaben einzuarbeiten, die zwei oder – wie im Falle des Antragstellers – sogar drei Besoldungsgruppen über dem eigenen Statusamt lägen. Entscheidend sei vielmehr die Fähigkeit, sich den Anforderungen des Amtes entsprechend rasch und vertieft in neue Rechtsgebiete einarbeiten zu können. Es sei auch nicht erkennbar, dass eine angemessene Einarbeitungszeit für den Dienstposteninhaber nicht organisierbar wäre oder eine unzumutbare Beeinträchtigung der Aufgabenwahrnehmung durch eine solche Einarbeitung einträte. Insoweit sei auch davon auszugehen, dass hinsichtlich der geforderten Fach- und Rechtskenntnisse zunächst auf die bereits eingearbeiteten Mitarbeiter des Fachbereichs zurückgegriffen werden könne. Dies gelte insbesondere für die Teilgebiete des Fachbereichs, die nach den Angaben des Antragsgegners fachlich von Hauptsachbearbeitern geführt würden. Zu alledem äußert sich der Antragsteller nicht. Der Verweis auf die Erläuterungen des Antragsgegners, die das Verwaltungsgericht als nicht ausreichend für die Annahme eines Ausnahmefalles erachtet hat, genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Im Beschwerdeverfahren hat der Antragsgegner zu den zwingend geforderten Rechts- und Fachkenntnissen nichts weiter vorgetragen. Im Gegenteil hat er sich dahingehend geäußert, die Gründe, mit denen das Verwaltungsgericht den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zurückgewiesen habe, seien zutreffend. Im Übrigen hat der Antragsteller bei seiner Bewerbung „bezugnehmend auf die fachlich geforderten Kompetenzen“ selbst angegeben, dass „diese aus (seiner) Sicht im Vergleich zu (seinen) bisherigen Rechtsgebieten recht überschaubar“ seien und er davon ausgehe, sich aufgrund seiner bisherigen Kenntnisse und Erfahrungen „dort relativ schnell einarbeiten“ zu können.

7. Der Beschwerde verhilft es nicht zum Erfolg, dass der Antragsgegner das Auswahlverfahren aus einem anderen Grund abgebrochen und nur diesen dem Antragsteller mit E-Mail vom 16. November 2020 mitgeteilt hat (so auch OVG Münster, Beschluss 13. Mai 2019 – 6 B 1753/18 – juris Rn.16). Das Vorbringen des Antragstellers, der für den Abbruch maßgebliche Grund müsse schriftlich dokumentiert werden, sofern er sich nicht evident aus dem Vorgang selbst ergebe, und der Bewerber hierüber in Kenntnis gesetzt werden, trifft für die Fälle zu, in denen dem Dienstherrn ein Entscheidungsspielraum verbleibt, ob er das Auswahlverfahren abbricht oder fortführt. Muss hingegen das Auswahlverfahren wegen eines fehlerhaften Anforderungsprofils abgebrochen werden und wäre eine Fortsetzung des Verfahrens deshalb rechtswidrig, kommt es entsprechend § 46 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG BE auf die Abbrucherwägungen des Dienstherrn nicht an. Der Antragsteller kann sich auch nicht darauf berufen, die Mitteilungspflicht könne ihre Schutzwirkung zugunsten des Bewerbers nicht entfalten, wenn das Gericht den Abbruch auf einen anderen Grund abwälze. Denn er hat die Abbruchmitteilung zum Anlass genommen, die ihm offenstehenden Rechtschutzmöglichkeiten umfassend zu nutzen, und verfolgt sein Begehren auch im Anschluss an die ablehnende Entscheidung des Verwaltungsgerichts weiter (vgl. auch Beschluss des Senats vom 24. April 2020 – OVG 4 S 63.19 – juris Rn. 16 m.w.N.).

8. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 10. Dezember 2018 – 2 VR 4.18 – juris Rn. 23).

9. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Zuletzt aktualisiert am Juli 19, 2021 von eurogesetze

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